Dienstag, 20. Januar 2009

Wahlastrologie
oder: Die 50.000-Euro-Frage

Sonntag war ein merkwürdiger Tag. Erst meldete bild.de bereits eine Viertelstunde vor Schließung der Wahllokale in Hessen die erste Wahlprognose (CDU 38 Prozent, SPD 22, FDP 17, Grüne 13, Linke 5). Dann erhielt ich gegen 19 Uhr im Münchner Akademieviertel die Fernausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ (geschätzte Andruckzeit: 17.15 Uhr) mit einem Aufmacher von Peter Fahrenholz: „FDP-Triumph sichert Koch die Macht“, ergänzt durch erste Zahlenprognosen einer „Wahlnachfrage“ – ohne jede Quellenangabe (CDU knapp 40 Prozent, FDP etwa 16 Prozent, SPD weniger als 25 Prozent, Grüne bei 13 Prozent, die Linken an der Fünf-Prozent-Hürde). Dabei gibt es - wie gesetzlich vorgeschrieben – die ersten Wahlprognosen offiziell nicht vor 18 Uhr (ARD etwa: CDU 37,5, SPD 23,5, FDP 16, Grüne 14, Linkspartei 5,1). Andererseits hat es solche vorzeitigen Zahlenergüsse immer wieder mal gegeben, wie der BILDblog minutiös schildert.
Heute war ein noch merkwürdigerer Tag. Denn bislang war ich davon ausgegangen, daß die beiden quasi hauptamtlichen Wahlforscher, die Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) und infratest dimap (ARD) vor der großen Verkündung bereits den Nachmittag über ausgewählte Journalisten und Politiker mit Zahlen versorgen, damit beispielsweise die Tageszeitungen unter Einhaltung einer Sperrfrist ihren Andruck schaffen. Energisches Dementi aber der Betroffenen.
„Die Prognosen, die das ZDF bei Wahlen um 18.00 Uhr veröffentlicht“, so Regina Henrich-Dieler „stehen nicht vorher fest und können daher auch nicht vorher an andere Medien weitergegeben werden. Sie werden punktgenau um 18.00 Uhr nach Schließung der Wahllokale errechnet und gesendet. Sollten wirklich Zeitungen vorher gedruckt werden und schon Zahlen enthalten, so können das keine Prognosen sein, sondern eventuell Umfrageergebnisse.“
In anderen Worten: Die Forschungsgruppe Wahlen stellt Matthias Jung zufolge „niemandem unsere um 18 Uhr gesendete Prognosen vor 18 Uhr zur Verfügung. Schon allein deshalb nicht, weil wir diese erst unmittelbar vor der Ausstrahlung fertig stellen, da wir noch so viel wie möglich unserer Interviews, die wir ja bis 17:45 erheben, darin berücksichtigen wollen.“
Dito bei infratest dimap fürs Erste: „Bei unserer Wahlberichterstattung, also auch der Prognose am Wahlabend, handelt es sich um eine exklusive Auftragsarbeit für die ARD und ihrer angeschlossenen Anstalten (auch den Hörfunk). Wir bedienen darüber hinaus am Wahltag keine anderen Medien und verweisen bei Anfragen immer auf die ARD. Die Tageszeitungen zitieren meines Wissens immer die Ergebnisse aus dem Fernsehen und verweisen dann auch schon auf eine der frühen Hochrechnungen“, so infratest-Sprecherin Irina Roth.
Nun würde es einen neugierigen Menschen wie mich schon interessieren, woher sonst die bereits deutlich vor 18 Uhr zirkulierenden Zahlen stammen, die eine „SZ“ dann nach 18 Uhr nahezu zeitgleich mit den so nicht mehr ganz exklusiven Fernsehanstalten auf ihrer frisch gedruckten Titelseite präsentiert – und es könnte für den Axel Springer Verlag sogar einen beträchtlichen Kostenfaktor ausmachen.
Denn hinsichtlich des Vorpreschens von bild.de betont der hessische Landeswahlleiter Wolfgang Hannappel auf meine Anfrage hin: „Ich gehe der Angelegenheit nach. Allerdings weise ich schon jetzt darauf hin, dass nach § 30 Abs. 2 LWG nur die Veröffentlichung von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe verboten sind. Derartige Wählerbefragungen werden nach meiner Kenntnis nur im Auftrag von ARD und ZDF durchgeführt und von diesen Anstalten exklusiv (erst-)veröffentlicht.“
Wenn bild.de also ihre vorzeitig veröffentlichte Prognose wie die erst nach der Sperrfrist erschienene „Süddeutsche Zeitung“ auf eine „Wahlnachfrage“ stützt, läge bei bild.de eine Ordnungswidrigkeit vor, die den Verlag bis zu 50.000 Euro Strafe kosten kann.

(Weder die BILD-Gruppe, noch die „Süddeutsche Zeitung“ oder Peter Fahrenholz haben bislang auf meine schriftlichen Anfragen dazu reagiert. Updates: Ah ja, von der ARD und dem Hessischen Rundfunk stehen die Antworten auch noch aus. Habe inzwischen auch bei der ARD-Wahlikone Jörg Schönenborn nachgefragt sowie bei den im Bundestag vertretenen Parteien.)

Updates: Wie mir ein zuverlässiger Gewährsmann heute bestätigt hat, erhalten die im Bundestag vertretenen Parteien stets die aktuellen Trends und Prognosen der Wahlnachfrage gegen 15.30 Uhr. Und jeder der in der politischen oder Medienwelt etwas auf sich zählt, kennt diese Zahlen bis spätestens 16 Uhr, also Stunden vor Schließung der Wahllokale. Je nach Partei kommen diese Infos entweder von infratest dmap oder der Forschungsgruppe Wahlen. Womit sich die Frage stellt, wer wußte was wann und von wem. Fortsetzung folgt.

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) räumt inzwischen ein, daß es durchaus den Wahltag über Gespräche mit Politikern gäbe und handverlesene Journalisten bereits um 17 Uhr vorab Zahlen erhielten.

Inzwischen gibt's in Hessen ein Aktenzeichen zum Vorgang.

Was macht die Demokratie aus? Daß wir eine mißliebige Regierung ohne Blutvergießen wieder loswerden können, so schrieb vor fast 65 Jahren Karl Popper. Und der Wahlakt, durch den sich die Willensäußerung des demokratischen Souveräns vollzieht, ist folglich ein bis ins letzte Detail reglementiertes Verfahren. Oder auch nicht. Die Wissenswerkstatt greift mein Thema auf.

Mit Schreiben vom 3. März teilt mir der Landeswahlleiter mit, daß er keine Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die BILD-Gruppe sähe.

(Disclaimer: Das Foto zeigt keine hessischen, sondern Münchner Wahlurnen.)

Verdächtige Tweets bei der Europawahl und im „Spiegel“ werden Bedenken hinsichtlich herausgetwitterter Exit-Polls bei den kommenden Bundestagswahlen geäußert.

Sonntag, 18. Januar 2009

Hessen-Wahl: bild.de prescht vor






Um 17.47 lief die erste Wahlprognose bereits bei bild.de über den Liveticker.



Updates:

BILDblog zum Thema.

Der hessische Landeswahlleiter Wolfgang Hannappel auf meine Anfrage hin: „Ich gehe der Angelegenheit nach. Allerdings weise ich schon jetzt darauf hin, dass nach § 30 Abs. 2 LWG nur die Veröffentlichung von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe verboten sind. Derartige Wählerbefragungen werden nach meiner Kenntnis nur im Auftrag von ARD und ZDF durchgeführt und von diesen Anstalten exklusiv (erst-)veröffentlicht.“

Jetzt gibt's in Hessen auch ein Aktenzeichen zu dem Vorgang.

Rätselraten um die Herkunft von Prognosen, die bild.de und der „Süddeutschen Zeitung“ bereits vor 18 Uhr zugänglich waren.

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) räumt inzwischen ein, daß es durchaus den Wahltag über Gespräche mit Politikern gäbe und handverlesene Journalisten bereits um 17 Uhr vorab Zahlen erhielten.

Was macht die Demokratie aus? Daß wir eine mißliebige Regierung ohne Blutvergießen wieder loswerden können, so schrieb vor fast 65 Jahren Karl Popper. Und der Wahlakt, durch den sich die Willensäußerung des demokratischen Souveräns vollzieht, ist folglich ein bis ins letzte Detail reglementiertes Verfahren. Oder auch nicht. Die Wissenswerkstatt greift mein Thema auf.

Mit Schreiben vom 3. März teilt mir der Landeswahlleiter mit, daß er keine Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die BILD-Gruppe sähe.

Verdächtige Tweets bei der Europawahl und im „Spiegel“ werden Bedenken hinsichtlich herausgetwitterter Exit-Polls bei den kommenden Bundestagswahlen geäußert.

Beobachtungen vom 30. August anläßlich der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland sowie der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen (Spiegel Online: „Prognosen-Verrat: Wahlergebnisse sickerten vorab auf Twitter durch“).

Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen
(Landtagswahlgesetz - LWG -)

§ 30 Unzulässige Wahlpropaganda und Unterschriftensammlung, unzulässige Veröffentlichung von Wählerbefragungen

(2) Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.

§ 49 Ordnungswidrigkeiten

(1) Ordnungswidrig handelt, wer (...) 3. entgegen § 30 Abs. 2 Ergebnisse von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung vor Ablauf der Wahlzeit veröffentlicht.

(2) Die (...) Ordnungswidrigkeit nach Abs. 1 Nr. 2 und 3 kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist (...) 3. bei Ordnungswidrigkeiten nach Abs. 1 Nr. 3 der Landeswahlleiter.

Gib Gummi

Fundsachen (9)

Mit Katja Kessler auf dem Deutschen Filmball 2001 im Bayerischen Hof.

Gomma-Telex

Registratur +++ 17. Januar 2009 +++ The Gomma Supershow +++ Sicher die professionellste Servicecrew des Münchner Nachtlebens. Wenn das Team regelmäßig hier arbeitet, wäre es allein schon ein Grund, Stammgast zu werden. +++ Schon lange nicht mehr einen John-Carpenter-Riff in der Disse gehört. +++ Einmal erkannt worden. +++ Niemanden gekannt, außer M&M, die aber draußen vor der Tür in der Schlange standen. +++ Miesester Espresso der Stadt, aber die Currywurst ist yummie. +++ Seit Chicago 1995 nicht mehr einen Club erlebt, wo der Türsteher bei so vielen Besuchern den Altersnachweis kontrollieren muß. +++ Je stoffökotaschiger das Styling, desto expressiver die Veitstanzbewegungen. +++ Ist Ironie bei Musik eine valide und vor allem positive Größe? +++ Keine einzige attraktive Frau gesehen. +++ Aber einige knackige Männer. +++

Deutschland sucht den Super-Chefredakteur

Es war einmal vor langer Zeit, in einem fernen Land namens BRD, da versammelten sich Printjournalisten nur einmal wöchentlich, um im „Internationalen Frühschoppen“ zu brillieren, mieden ansonsten die Fernsehkameras und strebten in ihren meist zu engen Redaktionskammern dem Wahren, Schönen, Guten zu.
Inzwischen scheint kein Blattmacher mehr ohne seinen eigenen Fernsehaltar auszukommen, auch wenn das Medium so seine Tücken hat, nicht nur weil die Kameras dick machen, sondern der Zuschauer auch ein scheues Reh ist, wie etwa Patricia Riekel verbittert feststellen mußte.
Mit Talkshows und boulevardesken Magazinen war das Tätigkeitsfeld der fremdelnden Tageszeitungs- und Illustriertenredakteuren keineswegs ausgeschöpft, Petra Gessulat – oder heißt sie jetzt Petra Winter? – („Cosmopolitan“) castet Supermodels, Annette Weber („InStyle“) demnächst Superpraktikanten, aber seit gestern tut sich Deutschlands Chefredakteuren ein ganz neues TV-Segment auf. Das des Kandidaten.
Zwar scheiterte Ehapa-Chefredakteur Peter Höpfner („Micky Maus“), uffz, ächz, seufz, gestern abend bei „Schlag den Raab“ (im Videoausschnitt ab 03:50) schon an den Klippen des Zuschauervotings und durfte nur mal kurz aufs Kandidatentreppchen, doch die Idee hat ihren Reiz: Nicht mehr nur in Prominentenspecials für einen guten Zweck mitzocken, sondern in die eigene Tasche wirtschaften – oder fürs Kollektiv. Bascha Mika geht zu „Wer wird Millionär“, um die „taz“ endgültig zu sanieren. Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo zelebrieren ihr unnachahmliches Doppel bei Jörg Pilawas „Quiz“ und Peter Turi errät bei „Wetten daß“ mit verbundenen Augen und einhändig jede deutsche Windelmarke.

An den Pforten des Münchner Clubhimmels

„Wer reinkommt, ist drin“ hieß es bei Kir Royal, und wer wüßte das besser als die Münchner Türsteher Damir Fister (He11eaven) und Dirk (P1). Süddeutsche TV porträtiert heute abend die „Wächter der Nacht - Das strenge Regiment der Türsteher“ um 23.15 Uhr auf Vox, und es wird sicherlich nur wieder eine dieser typisch oberflächlichen Sex & Schampus-Reportagen aus dem Nachtleben, aber wenn man die Jungs kennt nichtsdestotrotz ein amüsanter Fernsehabend.

Samstag, 17. Januar 2009

Dr. Evil 2009

Wer ist der Oberbösewicht? Wie jedes Jahr küren Greenpeace und die Erklärung von Bern die übelste Firma des Jahres und stellen sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor. Nach früheren Siegern wie Walt Disney, KPMG, Bridgestone oder der Citi Group sind heuer BKW Energie, BNP Paribas, Nestlé, Newmont Mining, Tesco und UBS im Finish für die Hall of Pain. Passenderweise wird Filmbösewicht Anatole Taubman zusammen mit Heiner Geißler und Susanne Leutenegger-Oberholzer bei der Preisverleihung am 28. Januar sprechen.

Requiem für eine Redaktion

Daß sich die Kulturredakteure Christopher Schmidt, Reinhard Brembeck und Egbert Tholl der „Süddeutschen Zeitung“ jetzt als Schauspieler versuchen, hat nichts mit den Sparplänen des neuen Hauptgesellschafters zu tun. Vielmehr sorgen sie als mitwirkende Darsteller für ein Quäntchen Authentizität, wenn Ende des Monats die Bayerische Theaterakademie in den ehemaligen Redaktionsräumen der „Süddeutschen Zeitung“ das Projekt „Blaupause“ inszeniert: „In szenischen Collagen literarischer Texte aus unterschiedlichen Epochen verschmelzen Vergangenheit und Zukunft des Gebäudes. Gemeinsam mit Team Odradek, einem Kollektiv von bildenden und darstellenden Künstlern“ inszeniert Regiestudent Jonas Zipf eine „Spurensuche und lädt den Zuschauer auf eine Reise ein, in der ein letztes Mal die Räume der großen Tageszeitung besichtigt werden können. Eine Reise durch Erinnerungen und Visionen, durch Vergangenheit und Zukunft.“ Die Premiere am 31. Januar ist ausverkauft, für die zweite und letzte Aufführung am 1. Februar gibt es an der Kasse im Prinzregententheater noch Karten zu 13 Euro.

Fetisch abseits der Führungsetage

Hauen sich nur Bobos auf den Popo? Im Sexblog der „Libération“ widerspricht Agnès Giard dem Mythos, daß SM ein Spiel der Bourgeoisie und Bosse wäre, während die von der Arbeit müde Unterschicht gerade noch die Missionarsstellung hinbekäme. Der Fetisch kennt ihrer Erfahrung nach keine Standesdünkel und sie untermauert es mit einer Tätigkeitsbeschreibung der ihr bekannten Sadomasochisten – die sie Ende des Monats aktualisieren will: Da finden sich Köche, Verkäufer, Apotheker, Sekretärinnen, Feuerwehrmänner, Immobilienmakler, Kraftfahrer und und und. Wer einmal die von Sombart, Millet & Co verherrlichte Partouze der französischen Gesellschaft beiseite läßt und selbst schon einmal in einer der eher volksnahen deutschen Kreuzigungsstätten zwischen Kreuzberg und Alabamagelände war, wird von dieser Offenbarung kaum überrascht sein.

Petit Déjeuner Musical (62)

Messieursdames, Alain Chamfort! (Eine noch schönere französische Fassung von Donna Summers „Could it be magic“ hat Isabelle Antena eingespielt. Die ist leider nicht als Video verfügbar.)