Sonntag, 13. März 2016

Der Münchner Merkur – und eine Zeitungsente von internationalem Format (Update)

„Dewey Defeats Truman“ – mit dieser falschen Schlagzeile schrieb die „Chicago Daily Tribune“ am 3. November 1948 Zeitungsgeschichte. Denn tatsächlich hatte Präsident Harry S. Truman überraschenderweise die Wiederwahl gewonnen und die konservative Redaktion bei dem Versuch, einen Scoop zu landen, auf den favorisierten republikanischen Herausforderer Thomas E. Dewey als unvermeidlichen Wahlsieger gesetzt und dabei einfach nur daneben gehauen.
Weniger bekannt mag sein, daß die Redaktion des „Münchner Merkur“ den gleichen Fehler beging. Das Wahlergebnis in den USA war erst nach Redaktionsschluß zu erwarten, doch um die örtliche Konkurrenz auszustechen, hatte Chefredakteur Felix Buttersack auf das vermeintlich sichere Pferd gesetzt – so erzählte es zumindest Dirk Ippen, inzwischen Verleger des Münchner Traditionblattes, heute in seiner Kanzelrede in der Münchner Erlöserkirche auf Einladung der Evangelischen Akademie Tutzing. Laut Redemanuskript: „Der Lizenzträger des Münchner Merkur, Felix Buttersack, wollte nun unbedingt in seiner damals mittags erscheinende Zeitung als erster die Meldung vom Sieg des Republikaners Dewey haben. Unbekümmert ließ er daher eine Zeitung mit entsprechender Schlagzeile drucken. Dabei war das Rennen noch gar nicht gelaufen und der Sieger wurde am Ende bekanntlich Truman.“
Der „Spiegel“ von 1948 schreibt dagegen: „Als er morgens gegen ½4 Uhr in der Redaktion seinen Mantel anzog, um zu einer Party zu fahren, hatte er ausdrücklich befohlen, den fertigen Dewey-Sieges-Merkur von der Rotationspresse fernzuhalten. Als er eine gute Stunde später zurückkam, war 'durch ein technisches Versehen' die Presse im Gange.“
Das „Time Magazine“ wiederum: „In Munich, Publisher Felix Buttersack moaned: 'What shall I do?' Two hours after the polls closed, his newspaper, Merkur, had scooped Bavaria with the headline: THOMAS E. DEWEY—AMERICA'S NEW PRESiDENT. Merkur carried a vivid account of how the victorious Governor Dewey had thanked the people in a radio address. Buttersack said he had simply trusted the polls. 'What,' added Felix Buttersack, 'is Dr. Gallup going to do?'“
Ippen zufolge fürchtete Buttersack, wegen der kapitalen Falschmeldung von den amerikanischen Besatzungsbehörden die Zeitungslizenz entzogen zu kriegen. Was ihn wohl rettete, war eben, daß den Chicagoer Kollegen der gleiche fatale Fehler unterlaufen war. Ippen: „Bei solchen Missbräuchen der Pressefreiheit verstanden die Amerikaner keinen Spaß, so dass Buttersack umgehend zur US-Pressekontrolle in München bestellt wurde. Da stand er mit weichen Knien, denn das hätte ihn die Lizenz kosten können. Was ihn schließlich gerettet hat, war die Tatsache, dass auch die berühmte amerikanische Chicago Tribune den gleichen Fehler gemacht hatte.“
Ippens Anmerkung, in den amerikanischen Journalistenschulen würde diese Art falscher Berichterstattung bis heute als „Buttersack“ bezeichnet werden, mag hoffentlich nur ein schlechter Witz gewesen sein. Im Manuskript seiner Rede, die „Zeit und Zeitung – Erlebtes aus 8 Jahrzehnten“ heißt, bezieht er sich – wie allzu oft in seinem Vortrag – nicht auf selbst Erlebtes, sondern nur auf Hörensagen: „Ein amerikanischer Journalist aber hat mir vor Jahren berichtet, dass man dort heute noch eine Sensationsmeldung, die sich hinterher als falsch erweist 'a Buttersack' nennt…“ Höchstwahrscheinlich auch nur wieder eine Zeitungsente...

Wochenplan

Philipp Felsch: „Laborlandschaften. Die Alpen als Raum der Wissenschaft“ / Eres-Stiftung, Orientalic / Salon G in der Akademie der Bildenden Künste, „Keine Angst vor Partizipation – Wohnen heute“ / Architekturmuseum, ndF: after work Pressecocktail / Parkcafé, St. Patrick's Day, „Internethetze, Pick-Up-Artists und Co. – der ganz alltägliche Frauenhass“ – Laurie Penny und Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Julia Fritzsch / Literaturhaus, Premiere des ARD-Eventfilms „Das Geheimnis der Hebamme“ in Anwesenheit von Ruby O. Fee, Steve Windolf, Franz Xaver Kroetz, Sabin Tambrea, Susanne Wuest, Sabine Ebert und Roland Suso Richter / Gloria-Palast, Content Marketing – Konkurrenz für den Journalismus? / Presseclub, Eric von Hippel: „Free Innovation and the Internet“ / Bayerische Akademie der Wissenschaften, Bring your own! – Besucher und ihre Lieblingsmusik / Lenbachhaus, Art Meets Fashion / Saffeels, Karim El-Gawhary liest aus „Auf der Flucht“ / Klang im Dach, Special Screening von „Eddie the Eagle“ in Anwesenheit von Hugh Jackmann, Iris Berben und Eddie Edwards / Mathäser, Thomas Darchinger: „A gmade Wiesn“ / Schloss Kempfenhausen, Pressevorführungen „Vor der Morgenröte“, „Mängelexemplar“, „Junges Licht“, „Hope for All“, „Sing Street“, „Criminal Activities“ und „High Rise“ (Foto)

Freitag, 11. März 2016

Feine erste Sätze (20)

„Der Wintertransfermarkt hat im Profifußball einen ähnlich glamourösen Ruf wie der Einzelhandel für gebrauchte Elektroprodukte im Bahnhofsviertel.“
Philipp Selldorf in der „Süddeutschen Zeitung“

Sonntag, 6. März 2016

Wochenplan

Michaela Melián: „Electric Ladyland“ / Kunstbau, Mircea Cărtărescu: „Die schönen Fremden“ / Literaturhaus, Premiere von Doris Dörries „Grüße aus Fukushima“ / City, „Bilder, welche Bilder? Über Abstraktion und Realität in den Alpen“ – Künstlergespräch mit Hansjoerg Dobliar, Philipp Messner und Walter Niedermayr / Eres-Stiftung, Vernissagen Käthe deKoe & Steffi Pusch: „A Land is a Scape is a Soul“ / Ingo Seufert und Valentina Murabito: „Against Identity“ / ponyhof artclub, „Im Visier der Meute. Journalistische Recherche zwischen Fairness und Exzess“ – Tagung mit Susanne Gaschke, Jörg Kachelmann, Sabine Kehm, Peer Steinbrück u.a. / Akademie für politische Bildung Tutzing, Klyne / Tonhalle, „Zeit und Zeitung – Erlebtes aus acht deutschen Jahrzehnten“ – Kanzelrede von Dirk Ippen / Erlöserkirche an der Münchner Freiheit, Pressevorführungen „Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst“ (Foto), „Auferstanden“, „Der Spion und sein Bruder“, „Die Bestimmung – Allegiant“, „Familie zu vermieten“, „Gods of Egypt“, „Ich bin tot, macht was draus“, „Kung Fu Panda 3“, „A War“ und „Café Belgica“

(Foto: Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada)

Freitag, 4. März 2016

Dr. Burda & Mr. Hyde: der Datenspagat zwischen Cliqz und Grow (Update)

Gute Daten, schlechte Daten? Wer dieser Tage öfters im Arabellapark zu tun hat, droht der Verwirrung anheimzufallen. Denn einerseits wuppt man bei Burda das nächste große Online-Ding. „Wir erfinden das Internet neu“. Kein Wunder, daß sich unlängst sogar Sigmar Gabriel den neuesten heißen Scheiß persönlich vorführen ließ: Cliqz, einen Zwitter aus Browser und Suchmaschine, der zwar noch irgendwie beta ist, aber jetzt offiziell vorgestellt werden soll.
Ein Internet-Wolpertinger, der vor allem eines sein will: lieb und gut. Anders als die böse Datenkrake Google, die sogar die Deutschen trackt, die gar keine Google-Produkte nutzen. Und sollte das jemand verdrängt haben, so lancierte Cliqz sicherlich nicht zufällig oder uneigennützig vorletzte Woche eine Studie, die daran erinnert, wie böse Google ist.
Cliqz dagegen ist so gut und rein, daß es sogar das alte „Focus“-Primat aufwärmen darf: „immer an den Leser denken“. Bei Cliqz klingt das jetzt so: „Immer zuerst an die Nutzer denken. Das unterscheidet uns von den Konzernen, die das Internet heute beherrschen. Sie gestalten das Web nach ihren Interessen und den Interessen der Werbeindustrie. Wir haben eine ganz andere Vision vom Internet. Wir glauben an ein Internet, in dem Werte wie Transparenz, Privatsphäre, Offenheit, Sicherheit und Respekt zählen. Ein Internet, in dem persönliche Daten im Besitz der User bleiben und in dem sie auf dem kürzesten Weg zum Ziel kommen – auch wenn das weniger Werbemöglichkeiten bedeutet.“
Klingt schön. Aber klingt das auch nach Burda? „Daten sind das neue Öl“ wird der Vorstandsvorsitzende Paul-Bernhard Kallen in der aktuellen Mitarbeiterzeitung zitiert. „Um in der Consumer Internet Industrie erfolgreich zu sein, ist der Zugang zu Daten entscheidend. Und wenn sowohl der Zugang zu Daten als auch der Zugang zu Konsumenten in der Hand weniger Monopolisten sind, kann es keinen fairen Wettbewerb geben.“ Und so arbeitet man im Haus nicht nur an Cliqz. Im Rahmen des aktuellen Transformationsprogramms „Grow!“ verfolgt man andere Ziele, die aber durchaus den Leser, nein, User, nein, „Konsumenten“ auch „in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns stellen“. Ingo Rübe, CTO Burda Magazine, führt das näher aus: „Voraussetzung dafür ist die zielgerichtete Datenerfassung durch die Nutzung der passenden Technologie und der geeigneten digitalen Werkzeuge“. Nach zwölf Monaten intensiver Arbeiten stünde nun das Modul Data & Analytics bereit, mit dessen Hilfe man anonyme Nutzer in identifizierbaren Konsumenten verwandle. „Keiner unserer direkten Mitbewerber verfügt bislang über vergleichbare technologische Möglichkeiten“, um gerade im Zuge der Digitalisierung über die Nähe zum Menschen neue Erlösquellen zu schaffen.
Gute Daten, gute Daten. Mal für den User, mal für den Tracker. So vielseitig können Konzerninteressen sein, gerade wenn man das Internet noch nicht beherrscht. Damit sich das ändert, sucht man bei Cliqz noch Mitarbeiter und buhlt um sie mit gewagten Behauptungen„Food & Fun – Häufig findet man uns in der Kantine bei einem leckeren Mittagessen“. Da will man hoffen, daß die Crew vom Internet mehr versteht als vom Essen im Burda-Casino.

Montag, 29. Februar 2016

Montag, 22. Februar 2016

Wochenplan

„Verrat oder Aufklärung? Die Rolle von Whistleblowern für Demokratie und Medien“ – Tagung mit Markus Beckedahl, Ulrich Chaussy, Annegret Falter, Inge Hannemann, Wolfgang Nešković u.a. / Akademie für politische Bildung Tutzing, Lebensentwürfe junger Frauen und Männer in Bayern / Lothringer 13, LUNAparty / Blue Spa im Bayerischen Hof, Episode #3 – Ekkehard Knörer und Doris Akrap diskutieren über „Homeland“ / Kammerspiele, Klaus G. Sauer: „Verlage in der NS-Zeit“ / NS-Dokumentationszentrum, Thomas Darchinger: „A gmade Wiesn“ / Freiraum Münsing und Hofspielhaus, Verleihung des Ehrenpreises der Landeshauptstadt München an Herlinde Koelbl, Chris Dercon & Romuald Karmakar: Gespräche über Kooperation und Solidarität / Kammerspiele, Vernissagen „Half a Pound of Art“ / Størpunkt, Olaf Metzel: „Sixpack“ / Galerie Klüser 2, „American Gothic“ / super+Centercourt und Thomas Gentille – American Jeweler / Die Neue Sammlung, „Bring Your Own!“ – Besuchen legen ihre Lieblingsmusik auf / Lenbachhaus, Abrißparty des Münchner Presseclubs, La Nuit des César, TSV1860 – Fortuna Düsseldorf, „Lola Montez“ (Foto) und „Citizen Kane“ / Filmmuseum, Oscars / Pro Sieben, Pressevorführungen „Nur Fliegen ist schöner“, „Das Tagebuch der Anne Frank“, „The Lady in the Van“, „Die Kommune“ und „Chevalier“

Sonntag, 14. Februar 2016

Wochenplan

Superfood mit Susanne Bingemer / Broeding, Vernissagen Wolfgang Tillmans: „Playback Room“ / Lenbachhaus und Urban Art Preview ft. Banksy, Ben Eine, Swoon, Nick Walker & friends / Galerie Kronsbein, Pub'n'Pub: „Blind Date? Buchverlage treffen Leser“ mit Rita Bollig (Random House) / Fraunhofer Theater, the 58th Grammys / Sixx, „30 Jahre Lokalrundfunk in Bayern – Wie geht's jetzt weiter?“ Podiumsdiskussion mit Ilse Aigner, Ulrike Gote, Erich Jooß und Jutta Müller / Literaturhaus, Kriegstagebuch einer jungen Münchner Nationalsozialistin – Die Aufzeichnungen Wolfhilde von Königs 1939-1946 / Stadtarchiv, 50. GQ First Look ft. Osca (Foto) / Goldene Bar, „Die Macht der strategischen Kommunikation“ – Jahrestagung Netzwerk Medienethik mit Günter Bentele, Alexander Filipović, Stefan Kornelius, Regine Kreitz, Julius van de Laar u.v.a. / Hochschule für Philosophie, Sondervorführung von „Spotlight“ samt anschließender Podiumsdiskussion zum Thema „Warum ist investigativer Journalismus heute wichtiger denn je“?“ mit Karoline Meta Beisel, Catharina Felke, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier und Dominik Schütte, „Bonjour Tristesse“ / Filmmuseum, Ritournelle ft. Actress, Andy Scott, Junior Boys, Jessy Lanza, Aisha Devi und die Zenker-Boys / Kammerspiele, Märzchenfest, Pressevorführungen „Midnight Special“ und „Freunde fürs Leben“

Samstag, 13. Februar 2016

Popa ante Portas – von der Munich Security Conference erst sistiert, dann gesperrt?

„Festung Siko“. So titelt der Münchner Boulevard Jahr für Jahr gern anläßlich der wiederkehrenden Münchner Sicherheitskonferenz. Am 7. Februar 2015 sollte es besonders sicher zugehen, schließlich waren mit US-Vizepräsident Biden, US-Außenminister Kerry und Angela Merkel gleich drei big shots in den Konferenzhallen des Bayerischen Hofs. Höchste Sicherheitsstufe. Oder etwa nicht?
Angeblich soll es ausgerechnet an diesem Tag einem Individuum ohne die zwingend erforderliche security clearance gelungen sein, in die green area der 51st Munich Security Conference einzudringen. Und noch weit dreister: der Unbekannte entkam so schnell, daß er die Sicherheitskontrolle zwischen der gelben und grünen Zone, die Einlaßkontrolle am Hoteleingang, den Sicherheitsperimeter am Promenadeplatz sowie den vorgezogenen Sicherheitsperimeter an der Theatinerstraße passieren konnte, bevor die Sicherheitsbehörden dazu gekommen wären, seine Identität zu klären. Zurück blieb nur ein Foto, das ihn eben auf frischer Tat zeige.
Wer könnte dieser mysteriöse, alle Sicherheitsvorkehrungen überwindende Fremde nun gewesen sein? Fantomas? Jack Bauer? Peter Quinn? Nein, noch weit fiktiver – und ich bin davon am meisten überrascht worden: Ich selbst, als akkreditierter Berichterstatter, soll den mir zugewiesenen gelben Bereich listenreich verlassen haben.
Und so wurde ich offenbar am 7. Februar 2015 zur Fahndung ausgeschrieben und ein Foto von mir als dringlich zu identifizierende Person zumindest auf die Handys der auf der Siko eingesetzten Polizeibeamten verschickt, mit der Aufforderung, mich bei Erscheinen festzuhalten und meine Personalien festzustellen. Angesichts meines eher wilden Haarwuchses unter all den geschniegelten Konferenzteilnehmern ein leichtes Unterfangen.
Seit 2013 war ich als Journalist bei der Münchner Tagung regelmäßig akkreditiert gewesen. Nachdem sich meine Artikelthemen gewandelt und ich mich für den 51. Durchgang 2015 nicht zurückgemeldet hatte, schrieb mich das Media Team um Pressesprecher Oliver Rolofs wiederholt an, wies mich daraufhin hin, daß für mich ein Platz im Pressepool reserviert sei, und akkreditierte mich schließlich weit nach Anmeldeschluß, als ich doch noch seiner Aufforderung zu einer Teilnahme nachkam.
Business as usual also. Entsprechend begann Sonntag, der 8. Februar 2015, wie der gewohnte lätscherte dritte Konferenztag. Ich hatte keine drei Stunden geschlafen, die winterliche Innenstadt war menschenleer, ich näherte mich kurz nach 8 Uhr dem Bayerischen Hof. Die uniformierten Polizisten am Promenadeplatz hatte ich schon passiert, als mich eine Beamtin doch noch zurückrief und nach meinem Personalausweis fragte.
Wenige Minuten später hatte ein Zivilbeamter, der sich mit nichts anderem als dem Konferenz-Badge auswies („Oswald – Police“), das Kommando übernommen. Ich war zur Identitätskontrolle ins Hotel geführt worden, umringt von einem halben Dutzend uniformierter und ziviler Beamter. Als ob sie jederzeit mit einem Fluchtversuch rechneten.
Mein Personalausweis wanderte von Hand zu Hand. Den unterschiedlichsten Dienststellen wurden meine Personalien telefonisch übermittelt. Und selbst nachdem bei einem weiteren Anruf geklärt worden war, daß ich weiter an der Tagung teilnehmen durfte, sistierte man mich noch ein bißchen länger, bis meine Daten wirklich allen Interessenten übermittelt worden waren.
Die Räuberpistole von meinem unbefugten Eindringen erzählte mir Oswald übrigens mit dem süffisanten Grinsen eines Captain Renault, wobei meine Rolle in diesem Vergleich keineswegs die Bogarts, sondern die von Peter Lorre wäre. Der Polizist wußte, daß es eine Lüge war. Ich wußte es. Und es war ihm egal, was ich daraus machen würde.
Nun war es wirklich nicht das erste Mal, daß ich Probleme mit der Münchner Polizei gehabt hätte. Sei es, daß man beispielsweise anläßlich der Studentenproteste 2009 andere Journalisten und mich rechtswidrig am Betreten der Ludwig-Maximilians-Universität gehindert hätte, wofür sich dann seltsamerweise Unipräsident Huber rechtfertigen mußte und nicht etwas die Verantwortlichen vom Kommissariat für politisch motivierte Kriminalität (Links). Zwei Jahre später hatte mich die Polizei die Treppe an der Feldherrnhalle heruntergestoßen, nachdem ich meinen Presseausweis zückte. Aber das waren alles in ihrer Entwicklung durchaus nachvollziehbare spontane Entgleisungen im Rahmen hitziger Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.
Die Vorkommnisse im Bayerischen Hof waren dagegen kaltblütig geplant. Doch warum hatte man mich über eine halbe Stunde unter beachtlichem Personaleinsatz festgehalten? Ein unbotmäßiger Tweet oder ein unangemessenes Foto können es nicht gewesen sein, denn als akkreditierter und damit auch einer Sicherheitsüberprüfung unterliegender Teilnehmer waren diese für jeden identifizierbaren Veröffentlichungen mir eindeutig zuzuordnen.
Offenbar war ich irgendwo abgelichtet und mit Hilfe dieses Bildes zur Fahndung ausgeschrieben worden. Zugleich muß man auf dem Bild erkannt haben können, daß ich ein Konferenzteilnehmer war. Ich trug also mein gelbes Media Badge sichtbar. Und da kommen nur zwei Situationen in Frage:
Samstag vormittag hatte ich im Arabellapark den öffentlich geparkten Hazmat Truck des US Secret Service und einen Pick-up aus dessen Fuhrpark fotografiert und geflickrt. Anschließend hatte ich die No-NATO-Demo am Marienplatz dokumentiert. Hatte ich nun US-Dienste oder die Münchner Polizei mit meiner Anwesenheit so sehr irritiert, daß sie mich identifizieren wollten? Ersteres schließt ein hochrangiger Insider nahezu aus. Die Münchner Polizei dagegen kennt mich so gut, daß etwa der mir bis dahin völlig unbekannte Polizeisprecher Christoph Reichenbach mich Jahre zuvor schon bei einer Demo am Marienplatz auf Anhieb identifizierte und mich sogar mit Handschlag begrüßte. Leichter kann man meine Glaubwürdigkeit auf der anderen Seite gar nicht untergraben.
Es bleiben viele Fragen offen. Nur eine nicht. Die nach weiteren Teilnahmen an der MSC. Das Team der Münchner Sicherheitskonferenz hat mir inzwischen nicht nur den jahrelang reservierten Platz im Pressepool gestrichen, sondern mich gleich gänzlich aus dem Presseverteiler geworfen.

(Fotos: Zwez/MSC, MSC, Dorin Popa)

Freitag, 12. Februar 2016

Von „Vivian“ (2000) zu „frei!“ (2016): Blond ist nicht blond (Updates)

„Das moderne Weekly“ (Gruner + Jahr). „Das wohl größte Print-Abenteuer seiner jüngeren Geschichte“ („Horizont“). „Wir bieten unseren Leserinnen mit dem besonderen Spannungsbogen aus News, Service und Unterhaltung einen ganz neuen Blick auf die Woche“ (Philipp Jessen und Hans-Peter Junker – ein- oder mehrstimmig?).  In meinen Ohren klang das alles erst mal nach einer Wiedergeburt von „Vivian“. „Vivian“?
Eine einzige Ausgabe von „Vivi@n“ (so die Schreibweise der ersten Ausgaben), Burdas „modernem Frauenmagazin“, konnte deren Unternehmenskommunikation auf meine Nachfrage hin in ihrem Archiv noch auftreiben. Ein paar Ausgaben mehr, wenn auch nicht viele, sind zwischen dem 9. Oktober und 30. Dezember 2000 Woche für Woche erschienen. Montags. Damals noch „Spiegel“-Tag.
Frühsommer 2000 in Offenburg. Ich war im Jahr zuvor mit einer kleinen Entwicklungsredaktion von Berlin an die Kinzig gezogen, um ein anderes, jüngeres Produkt zu entwickeln. Inzwischen war ich als last man standing allein im noch von Egon Eiermann gestalteten alten Verlagsgebäude des Aenne Burda Verlags zurückgeblieben. Zwischen mechanischer Stechuhr und Wachspatronendrucker. Mein Team war längst über die Straße gewandert.
Denn die Zukunft fand dort gegenüber statt, im neu errichteten Medienpark des Burda-Konzerns, wo nicht nur die klassischen Offenburger Titel wie „Burda Moden“ oder „Lisa“ Unterschlupf gefunden hatten, sondern endlich auch etwas kreiert werden sollte, das im ewigen Gerangel zwischen Offenburg und München, Todenhöfer und Markwort, weströmischem und oströmischem Reich den durchaus spürbaren, wenn auch gern geleugneten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Münchner Burda-Kollegen („Focus“, „Bunte“) zu mindern versprach: „Vivian“, ein wöchentliches Nachrichtenmagazin für Frauen mit deutlichem Schwerpunkt auf Politik, Wirtschaft und Themen rund ums Internet.
Chefredakteurin war Susanne Walsleben, im Team unter anderem Katja Hertin (heute „DONNA“), Claudia Fromme („Süddeutsche Zeitung“) und Judith Betzler. Als Kolumnistinnen Georgia Tornow und Petra Gerster.
Über 15 Jahre sind seitdem vergangen, doch im direkten Vergleich wirkt Burdas „Vivian“ selbst heute noch moderner oder zumindest reflektierter und erwachsener als „frei!“ aus dem Hause Gruner + Jahr (das zudem aparterweise in letzter Zeit vor allem wegen seines rüden Umgangs mit freien Mitarbeitern stark attackiert wurde).
Blonde Ikonen zieren beide Startausgaben. Aber während „frei!“ seine Happy-Go-Lucky-Nummer mit einer ungewohnt cleanen Maria Furtwängler-Burda schmückt, gelang es „Vivian“ seinerzeit sogar, der stets cleanen Steffi Graf düstere Tiefe zu verleihen.
Von den Titelthemen ganz zu schweigen: „Vivian“ 2000 mit Migräne, Moral und Milosevic. „frei!“ 2016 mit Love-Looks, Glücksgefühl – und selbst zu Angela Merkel interessieren die Blattmacher in diesen Tagen nur „ihre geheimen Kraftquellen“.
À propos Blattmacher: „Vivian“ hatte selbstverständlich eine Chefredakteurin, aber mit jeder Woche schien ein weiterer Berater der Chefredaktion aufzutauchen, überwiegend eine alteingesessene Altherrenriege vom Schlage Helmut Ortner, Lothar Strobach und Rainer Bieling, die das in den Nullnummern noch sehr überzeugende Konzept fortwährend verwässerten.
Bei Gruner + Jahr entschied man sich von vornherein für zwei Männer als Chefredakteure, die das zudem nicht hauptamtlich betreiben müssen, sondern nebenbei erledigen, was gerade bei einem informationsgetriebenen Weekly verwundern mag. Philipp Jessen ist in erster Linie Chefredakteur von stern.de, sein Mit-Chefredakteur Hans-Peter Junker weiter Chefredakteur von „View“ „View“ – beide übrigens offensichtlich auch die beiden einzigen Männer in der Redaktion. Eine Hierarchie-Etage tiefer immerhin eine Frau als Redaktionsleiterin, Annette Utermark. So präsentiert sich ein neues Frauenmagazin anno 2016.
Die Erstausgabe lag heute der „Hamburger Morgenpost“, dem „Kölner Express“ und dem „Berliner Kurier“ bei. Weitere Exemplare der 900.000 starken Startauflage sollen im Lebensmittel-Einzelhandel kostenlos verteilt werden. Kollege Christian Bartels scheiterte in Berlin bei dem Versuch, ein Heft aufzutreiben. In München wurden wohl einige wenige Exemplare bereits gestern in den Zeitschriftenläden am Hauptbahnhof verschenkt.
Wenn man sich nach all den Vorankündigungen online online wie auch mittlerweile mit dem gedruckten Heft einen Eindruck vom neuen Frauenmagazin mit seinen Kreuzworträtseln und Wohlfühlstrecken verschafft verschafft, vom vermeintlich brandaktuellen Wochenblatt, dessen „Top-Story des Woche“ („News!“) eine Art Stehsatz über die Kraftquellen Angela Merkels ist, muß man doch feststellen, daß es kein bißchen an „Vivian“ erinnert, sondern eher an klassische Supermarkttitel von Burda, an „Lisa“ & Co. Wirtschaftlich vielleicht der vernünftigere Weg.
„Vivian“ wurde noch im gleichen Jahr wieder eingestellt. Verlagsleiter Reinhold G. Hubert nahm die Verluste im höheren zweistelligen Millionenbereich sportlich und sah es als Investition in Mitarbeiter und ein Format, eine Investition, von der alle anderen damaligen und künftigen Redaktionen profitieren sollten.

Update vom 16. Juni 2016: Es ging nicht ganz so schnell wie bei „Vivian“, aber inzwischen hat Gruner + Spar bei „frei!“ auch die Notbremse gezogen und den Titel eingestellt. Im Interview mit dem Branchendienst „Meedia“ erklärte Produktchef Stephan Schäfer – in der Wortwahl passend zur gerade stattfindenden Fußball-Europameisterschaft: „Wir haben den Ball deutlich ins Aus geschossen und die richtige Rezeptur für die Leserinnen nicht getroffen. Ich denke, es wird an mehreren Punkten liegen, aber unterm Strich haben wir es in einem ziemlich voll besetzten Regal nicht geschafft, den Sog zu entwickeln und Käuferinnen den einen klaren Grund zu liefern, zu frei! zu greifen.“ 
Oder wie es meine Kioskbesitzerin formulierte, die das Heft sehr schnell auslistete: „Zu teuer.“