Sonntag, 28. Februar 2010

Ulrike Zeitlinger: Vom Blattmacher zum V.I.P. Chocolatier

Wir kennen Sie als langjährige Blattmacherin („Mädchen“, „Cosmopolitan“, „freundin“) und working mom, doch nun hat sich Ulrike Zeitlinger, derzeit mit vier fünf Blättern („freundin“, „Wellfit“, „Burda Style“, „Alley Cat“, „Anton“ „freundin DONNA“) nicht gerade unterbeschäftigt, auf völlig neuem Terrain bewiesen, als V.I.P. Schokofee: Anläßlich der Eröffnung der Bunten Schokowelt von Ritter Sport in Berlin kreierte Zeitlinger neben Stars wie Iris Berben, Amelie Fried, Sarah Kuttner, Michaela May, Boris Entrup, Caroline Link und Florian Langenscheidt ihre ganz persönliche V.I.P.-Mischung aus Cranberry, Rotem Pfeffer und Macademia.
Ganz so neu ist das süße Geschäft für Zeitlinger auch nicht, schließlich beweist sich die Chefredakteurin seit der Geburt ihres nunmehr 5-jährigen Sohnes Ben als begeisterte wie begnadete Plätzchenbäckerin und Geburtstagstortenkünstlerin. Vom geschickten Einsatz vielfältiger Süßigkeiten zur Befriedung ihrer Redaktion ganz zu schweigen, da hat sie von ihrer langjährigen Mentorin Patricia Riekel gelernt, die erst unlängst wieder postulierte, daß Redakteurinnen nicht weinen könnten, wenn man ihnen etwas Süßes in den Mund steckt. 
Verkauft wurden die Promitafeln auf eBay, das ein noch härterer Bekanntheitsbarometer ist als „Buntes“ Star Control. Während Berben, Kuttner, Langenscheidt und ein Max Herre für ihre Tafeln zwischen 13 und 20 Euro zugunsten der – von Langenscheidt gegründeten – Kinderhilfsorganisation Children for a better World e. V. erzielten, liegt Zeitlinger immerhin noch mit ihren erlösten Geboten über Bestsellerautorin und Talk-Veteranin Amelie Fried oder Oscar-Preisträgerin Caroline Link.
Was wohl als nächstes kommt: eine Teemischung von Giovanni di Lorenzo oder Nagellack von Petra Winter?

Samstag, 27. Februar 2010

Wochenplan

Pressevorführungen „Remember me“, „Chloé“ und „Dorian Gray“, Redaktionsbesuch „w&v“, Starkbierprobe Nockherberg, Preisverleihung & Party „25 Jahre werden 25 / Gasteig, Vernissage Olaf Otto Becker / f 5.6, Multimediale Lesung „Wut, Angst & Chaos“ mit Katrin Baumer, Caro, Felix Bonke, Alex Burkhard und Deef Pirmasens / Niederlassung, München 852 Opening / Brienner 48, Vernissage Giampaolo Babetto / Pinakothek der Moderne, Lesung Taubenvergrämer & Kapinski / Brienner 48, Premiere „Surprise“ / GOP. Varieté, Oscar-Nacht

(Foto: Todd Wawrychuk / ©A.M.P.A.S.)

Freitag, 26. Februar 2010

Nimmerland ist abgebrannt: „Der Dämon in mir – The Woodsman“

„Woran denkst Du gerade?“ Kaum eine Frau wird im Kuschelrausch dieser Frage widerstehen können, und kein Mann wird ehrlich erwidern: „Nichts…was ich Dir sagen kann, ohne daß Du verletzt sein wirst.“ Im Kopf eines Mannes verbergen sich genug finstere Fantasien, um die Glaubenskongregation bis zum Jüngsten Tag mit Verfahren zu versorgen. Doch da man dem anderen schwer in den Schädel gaffen kann, hilft manchmal auch ein Blick auf sein gelötetes Hirn, die Festplatte, um einen Schimmer von den Abgründen einer Seele zu erhaschen.
Walter (Kevin Bacon) hat keinen Computer. Denn nach zwölf Jahren Knast besitzt er nicht viel mehr als die Kleider an seinem Leib. Seine Schmuddelbilder hat er im Kopf, gut versteckt vor allen anderen, und vor allem vor sich selbst. Denn Walter hält sich für einen guten Menschen. Er will nur lieben und niemandem weh tun. Doch seine Liebe brachte ihn ins Zuchthaus. Weil ihn sein Begehren verwandelt wie Michael Jackson im „Thriller“-Video.
Liebe ist Wahn, Sucht, Rausch, aber Walters Liebe ist kriminell. Zwölf Jahre Knast und eine Freilassung auf Bewährung. Der Therapeut überredet ihn, Tagebuch zu führen, seine Gedanken aufzuschreiben, die geistigen Schmuddelbilder zu Papier zu bringen, und wir wissen nicht, was Walter mehr fürchtet: Daß seine verräterischen Notizen der hartnäckig lauernden Polizei in die Hände fallen oder daß er sich darin selbst erkennt.
Wir kennen Leute wie Walter: Wortkarge Kollegen am Arbeitsplatz, die sich allen Routinen verschließen. Ausgehungerte One-Night-Stands, die uns zwar nicht die Sterne vom Himmel holen, aber eine Nacht Zweisamkeit schenken. Aber wer kennt schon Kinderschänder? Nicole Kassell macht es uns in ihrem Spielfilmdebüt ganz leicht: Weitab von aller Dämonie eines Peter Lorre („M – eine Stadt sucht einen Mörder“) oder Gert Fröbe („Es geschah am hellichten Tag“), ohne die Theatralik eines Michel Serrault („Das Verhör“) nähert sie sich dem Tabu, indem sie es jeder Exzentrik entzieht.
Kinderschänder, die keine Kinderschlächter sind. Hasenbergl statt Hollywood. Wir sind nicht in Nimmerland, sondern in der amerikanischen Provinz der Sägewerke und Pick-ups, die hier – anders als bei David Lynch – keine kitschige Operettenkulisse abgibt, sondern wahrhaftig wirkt und dennoch mit jeder Einstellung allgegenwärtige Monotonie präsentiert: Der joviale Schwager (Benjamin Bratt), der Walters Schwester bei jeder Gelegenheit betrügt. Die attraktive Sekretärin (Rapperin Eve), die Zurückweisung mit Mobbing bestraft. Der fiese Bulle (HipHop-Star Mos Def), der schon zuviele geschändete Kinder gesehen hat, um Verdächtigen noch Fairness zu gewähren.
Stück für Stück findet Walter nach seiner Entlassung zwischen diesen Monstern seine scheinbar sichere Nische: einen Arbeitsplatz, eine reife Beziehung. Alltag eben. Wird alles gut? Die Versuchung ist allgegenwärtig: Der einzige Vermieter, der einen Vorbestraften akzeptiert, quartiert ihn ausgerechnet gegenüber einer Schule ein. Den Bus, den er nach Feierabend nimmt, benutzen auch viele kleine Mädchen. Vor allem muß Walter aber entdecken, daß seine Liebe geteilt wird: Vor seinen Augen fischt ein Geistesverwandter nach Kindern. Und das Mädchen, das Walter im Park anspricht, weiß recht genau, was er will: Sein Vater genießt es auch, wenn es in seinem Schoß sitzt. Das Grauen ist überall.
Doch manchmal findet man nicht nur in der Liebe Verwandlung, sondern auch in der Konfrontation mit den vertrauten Dämonen. Und manchmal entpuppt sich ein kleiner, sperriger Debütfilm als Meisterwerk, weil man ihn gerade nicht geflissentlich abnicken und beklatschen kann, sondern ihm hilflos gegenüber sitzt.

Dieser Text erschien im „In München“ 10/2005 vom 5. Mai 2005

(Foto: ZDF/ARD/Degeto)

Mittwoch, 24. Februar 2010

Begegnung mit Valérie Valère (1980)

Dieser Text erschien 1980 in der zweiten Ausgabe meines Jugendmagazins „Outonom“. Bald darauf kaufte ich die deutschen Lizenzrechte an Valérie Valères „Obsession Blanche“ und veröffentlichte den Roman unter dem Titel „Weißer Wahn“ im eigens dafür gegründeten Popa-Verlag. Valérie Valère starb noch vor Erscheinen dieser Ausgabe.

MÜNCHEN, am frühen Nachmittag. Was sie, in Paris, jetzt wohl gerade macht? Vielleicht schläft sie oder schreibt an einer Kurzgeschichte. Vielleicht geht sie im Luxembourg spazieren, besucht eine Vorlesung an der Sorbonne, schaut sich gerade die Fassbinder-Retrospektive an oder kauft ein Buch bei Magnard?

VALÉRY wurde mit dreizehn in eine Heilanstalt eingewiesen. Vier Monate dauerte die „Heilung“ – eine Akte für die Erfolgsstatistik. Doch mag auch der Anlaß ihrer Internierung, die Verweigerung jeglicher Nahrungsaufnahme, beseitigt worden sein, so blieb doch der Grund. Zwei Jahre später schreibt sie sich ihre Erlebnisse, ihre aus dem Aufenthalt entstandenen Ängste von der Seele und veröffentlicht sie, da noch minderjährig, unter dem Pseudonym Valérie Valère.
„Le pavillon des enfants fous“ („Das Haus der verrückten Kinder“) ist kein Bericht einer Heilung wie Hannah Green’s „Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen“. Mit dem „Pavillon“ teilt Valérie mit dem Leser ihre Erfahrung – nach dem Drang zu schreiben, der Drang sich mitzuteilen. Ihre Gedanken, Ängste sprechen für viele Kinder und Jugendliche, die unterdrückt werden. Ihre Sprache wird zum Schrei in der Stille der Entmündigung.

PARIS, am frühen Nachmittag. Ganz in schwarz gekleidet betritt sie den Pub Relax. Kaffee, Zigaretten. Ihr hat ein Leser aus Deutschland geschrieben; Ich helfe ihr die Adresse zu entziffern. Sie erzählt mir, dass sie nach der Veröffentlichung des „Pavillon“ Schauspielerin werden wollte. Sie besuchte eine Zirkusschule, trat in einem Fernsehspiel auf, war im Geschäft. Doch das Milieu, die Atmosphäre unter Darstellern und Regisseuren gefiel ihr nicht. Im „France-Soir“ veröffentlichte sie 1979 eine Kurzgeschichte, im „France-Soir“ – das erinnerte mich an ein Trakl-Gedicht in „Bild am Sonntag“, schmerzhaft.
Sie, sie will sich nicht über ihre Leser stellen. „France-Soir“ liest der Durchschnittsfranzose, und den verachtet sie nicht. Außerdem bleiben ihre Geschichten ein und dieselben, egal welche Zeitung sie druckt. Und wenn jemand ihre Erzählung nur deshalb schlecht findet, weil die Zeitung, in der sie steht, beschissen ist, dann liegt es wohl am Leser. Wir reden über Journalismus, über Zeitungen, dass sie lieber Bücher kauft, als das Geld für Feuilletons auszugeben.

„MALIKA“, ihr erster Roman, ist das Gegenstück zum „Pavillon“. Während sie im letzteren ihre reale Kindheit schildert, handelt der Roman von einer erträumten Kindheit – einschließlich der Alpträume. Malika und Wilfried sind Geschwister und leben bei ihrem Vater, der auf Grund von Geschäftsreisen selten zuhause ist. Die beiden versuchen neben Schule und anderen Abhängigkeiten ein eigenes Leben, ein autonomes aufzubauen. Valéry Valère schildert eine Geschwisterliebe, in der der Inzest zwar vorkommt, aber keine Rolle spielt. Es steht nicht der Sex im Vordergrund, sondern die Liebe. Nachdem die beiden nicht die Kraft zum Kämpfen und Lügen hatten, und ein Fluchtversuch misslang, als schließlich der Vater droht, Wilfried ins Heim zu stecken, eskaliert die Handlung. Dieser Schluß erinnert mich in seiner sprachlichen Intensivität, die dadurch verstärkt wird, dass Malika und Wilfried abwechselnd dem Leser erzählen und ihn so hautnah dabeisein lassen, an Emily Brontë’s „Wuthering Heights“.

VALÈRY Valère geht gern ins Kino – besonders in deutsche Filme. Sie mag den frühen Herzog, den frühen Fassbinder. Im Kino sucht sie die Realität, die sie auf der Straße nicht sieht, denn die Straßen durchwandelt sie wie eine Tote; unfähig wahrzunehmen, was um sie herum passiert. Während ihres ersten Studienjahrs kam sie nur ein einziges Mal mit einer Kommilitonin ins Gespräch. Ihre Ängste, die Aggresivität der anderen sperren sie ein. So schreibt sie Bücher, sucht über das geschriebene Wort Kontakt mit den Leuten. Ob Valéry im „Pavillon“ oder Mailka und Wilfried im Roman, sie sprechen den Leser oft direkt an, fragen ihn, warnen ihn, es entsteht eine persönliche Beziehung. Aber der Leser kann nicht antworten (das Schicksal der Literatur), höchstens Briefe schreiben. Sie weiß auch, dass viele ihre Bücher nicht verstehen oder nur zur Unterhaltung lesen. So landete „Malika“ in der Zeitschrift „VSD“ in der Liste „Choisir son plaisir“.
Valéry Valère ist heute um die 19 Jahre alt. Ihr drittes Buch („Obsession Blanche“) erscheint im Januar. Wer sich fragt, was nach 2 Büchern über Jugendliche kommt, jetzt, wo sie „erwachsen“ wird, erhält damit die Antwort. Ein Buch über einen Schriftsteller, seine Abhängigkeit von Worten und seine Einsamkeit. Die Einsamkeit wird erschüttert, als eine Stille eintritt, er nicht mehr schreiben kann. Von seiner Angst, von seiner Unreife schreibt sie, wieder aus eigener Erfahrung.
Valéry Valère hat den Beruf, den sie sich wünschte. Sie kann zur Zeit von ihren Büchern leben. Sie weiß nicht, ob sie diese Unabhängigkeit weiter aufrecht erhalten kann. Ihr drittes Buch wird schwieriger sein, vielleicht schwerer verkäuflich. Schwarz, so sagt sie, ist die Farbe der Angst und Furcht.

Münchner Geschichten: Outonom

Mit der Schülerzeitung fängt es für die meisten Jungjournalisten an, aber zusammen mit ein paar unbeugsamen Schulkameraden suchten wir uns am Wittelsbacher Gymnasium alsbald ein unabhängigeres Forum in Gestalt einer eigenen, vor der Schulpforte verbreiteten Schülerzeitung, die mit jeder Ausgabe anders hieß: „Wie kurz“, „Schierlingsbecher“, „Kafka Hauser“ und „Dauerlutscher“.
Vier Hefte, ebensowenig Ausgaben erreichte unsere nächste Gründung, die 1980/1981 erschienene „Outonom“. „Eine jugendeigene Zeitschrift für Film, Literatur und Musik und Mitglied bei der Jungen Presse Bayern, dem Münchner Schülerforum und Wissenschaft im Dialog e.V.
Wir sind Leute, die Spaß dran haben, eine Zeitung zu machen, Sachen zu schreiben und uns mit Kultur (oder so was) zu befassen. Wir machen das ganze nichtgewerblich und bieten so vielleicht eine Alternative zur kommerziellen Presse.“
(Heft 1)
Das Alternative war auf den ersten Blick zu sehen, nicht etwa nur, weil das Druckbild mal aus Schreibmaschinenseiten, mal aus composerten Satzfahnen bestand, sondern auch einmal eine ganze Reihe Großbuchstaben fehlten: „Wir machen das Ganze weder professionell noch gewerblich. Deswegen auch der Zoff mit den Großbuchstaben in dieser Ausgabe. Unsere Kugelkopf-IBM (na ja, die Großkonzerne) hat sich schlichtwegs geweigert, uns mit den Großbuchstaben g u h zu versorgen, vielleicht damit für uns Themen wie Groupies, Unzucht und Homosexualität von vorne herein (?) wegfallen.“ (Heft 2)
Anfangs gab es noch eine aus Christian Stolberg, Bernd R. Gruschka und mir bestehende Chefredaktion, beim letzten Heft war diese abgeschafft worden und das Blatt nunmehr „in gleichen Teilen Eigentum der Redakteure“ (Heft 4).
In leicht wechselnden Konstellationen bestand die Redaktion aus Ulrich Johannes Beil, Katrin Geller, Ulrich Mößmer, Jörg Plannerer, Bernd Riegel und Markus Zieglmeier. Zu den freien Mitarbeitern zählten Michael Brenner, Karl Bauer, Gaffo, Stefan Haberstock, Kurt Nane Jürgensen, Wolfgang Lasinger, Chris Southea (oder Southan) und Georg Niederreiter.



Babyalarm bei Burda

Allein 16 Neugeborene in fünf Jahren. Mehr müßte man gar nicht schreiben. Natürlich war es von „InStyle“- Chefredakteurin Annette Weber ungeschickt, so zu tun, als gäbe es bei schwangeren Redaktionsmitgliedern nur zwei Möglichkeiten: sie loszuwerden oder mit durchzuschleppen. Und diverse arbeitsrechtliche Gerichtstermine ließen auch ahnen, daß man bei „Elle“ und „InStyle“ als werdende Mutter eher einen schweren Stand hat.
Aber offen gesagt waren das eher neue Töne im Hause Burda. Ob die beispielhafte Schaffung eines betriebsnahen Eltern-Kind-Initiative mit Kindergarten und Krippe in der Burda-Bande oder Helmut Markworts Engagement für die Verbindung von Kind und Karriere in der „Focus“-Redaktion, Mütter waren in diesem Medienkonzern tendenziell gut aufgehoben. (Auch wenn es aus Markworts Mund immer leicht mutterkreuzhaft deutschtümeln klang, wenn er Redakteurinnen zur Fortpflanzung aufforderte.)
In der heute erscheinenden „freundin“-Ausgabe zeigt das Team um Chefredakteurin Ulrike Zeitlinger nun ganz konkret, wie man Job und Familie vereinbaren kann. Nicht umsonst ist Zeitlinger vor fünf Jahren während des Mutterschutzes von „Cosmopolitan“ zur „freundin“ gewechselt – und mit ihr die halbe Redaktion. Im Hause Jürg Marquard haben Mütter tatsächlich einen schweren Stand, während Burda nicht nur auf dem Papier viel anzubieten hat.
Flexible Arbeitszeitmodelle mögen in den Augen von Nedelchev und Weber nicht taugen, um ein monatliches Glossy zu produzieren, aber wie das 14-tägliche Vollprogramm der „freundin“ mit einer Mütterriege erfolgreich produziert wird, zeigt die stolze Redaktion im aktuellen Heft mit viel Understatement: „Alles ganz normal“, schreibt Zeitlinger in ihrem Editorial, und präsentiert sich weiter hinten im Heft auf sechs Seiten mit Kind und Kegelgenossinnen. Quer durch alle Ressorts und Hierarchien stellen sich beispielhaft zehn der working moms, die das Blatt mitgestalten, samt Nachwuchs vor. Insgesamt durften sich die Mütter in der Redaktion in den letzten fünf Jahren über 16 Neugeborene freuen, von den bereits größeren Kindern ganz zu schweigen. Auch ein Erfolg in dieser zahlengetriebenen Branche.

Montag, 22. Februar 2010

17-Jährige, arglistige Täuschungen und Rechtschaffenheit

Beim Aufräumen habe ich einen Brief wiedergefunden, mit dem das Direktorat des Wittelsbacher Gymnasiums im Februar 1979 ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet hatte. Das Verfahren endete zehn Monate später, nach Veröffentlichung einer Gegendarstellung verzichtete Oberstudiendirektor Josef Weisenberger auf jegliche weitere Ordnungsmaßnahme gegen mich und den Mitangeklagten Bernd R. Gruschka. Im Gegenzug wurde aber Weisenberger von der Jungen Presse Bayern der Silberne Maulkorb verliehen.

Sehr geehrter Herr Popa!

In Ihrer Begründung zu Ihren „Anfragen und Bitten an das Direktorat des WG“ haben Sie einige – inzwischen vom Elternbeirat scharf mißbilligte – Äußerungen gegen das Direktorat gemacht, die teils direkte, teils indirekte Unterstellungen enthalten, die mein Ansehen bei Eltern, Schülern und Lehrern untergraben. So bezichtigen Sie mich eines unverantwortlichen Verhaltens, weil ich Schüler in Ungewißheit über Maßstäbe folgenschwerer Entscheidungen lassen würde. Sie sprechen ferner von der Gewalt der Schulleitung, von der weder Lehrer, noch Schüler und Eltern Näheres wissen oder erfahren. Sie wußten aber seit dem 21.12.78, daß dies nicht der Fall ist. Schließlich konstatieren Sie die endgültige Zerstörung des Klimas und der Vertrauensbasis an der Schule. Indirekt – weil offensichtlich juristisch unangreifbar – werfen Sie mir eine „Justiz“ vor, die nach bekannten und geheimen Kriterien vorgeht und somit Terror ausübt.

Sie haben unter einem versteckten Impressum als verantwortlicher Herausgeber einer dem Wiku täuschend ähnlichen privaten Schülerzeitung namens „Wiekurz“ als Schüler des Wittelsbacher-Gymnasiums und in arglistiger Täuschung von Lehrern und Schülern vor dem Schuleingang diese Zeitung ohne meine Genehmigung verkauft. Wenn auch presserechtlich dagegen möglicherweise nichts einzuwenden ist, so unterstehen Sie schulrechtlich der von mir geleiteten Schule. So, wie ein Betriebsangehöriger nicht gegen die Betriebsleitung öffentlich vor der Haustüre ohne Gefährdung seiner Betriebszugehörigkeit Hetzartikel oder sonst betriebsinterne Vorkommnisse verbreiten darf, so werden auch Sie sich für derartige Manipulationen zu verantworten haben. Unser erlaubtes Presseforum ist allein der Wiku.

Sie haben unter der rechtschaffenen Schülerschaft und bei Lehrern und Eltern Empörung hervorgerufen und werden sich am Dienstag, dem 13.2.1979, um 18.15 Uhr dafür vor dem Disziplinarausschuß zu verantworten haben.

Ich werde den Antrag auf Erteilung einer Ordnungsmaßnahme gemäß § 39 Abs. 2c ASchO stellen. Nach Abs. 5 desselben Paragraphen können Sie zu Ihrer Verteidigung einen Schüler oder Lehrer Ihres Vertrauens beiziehen.

Sollte unter Ihrer Regie als Herausgeber des „Wiekurz“ eine weitere Nummer – wie angekündigt – vor dem Schulhaus verkauft werden, so rate ich Ihnen, vorher das Wittelsbacher-Gymnasium zu verlassen, damit Sie Ihre Zeitungen und sonstigen Drucksachen ungestört an den Mann bringen können. Als Schüler des Wittelsbacher-Gymnasiums verbiete ich es Ihnen.

Hochachtungsvoll

Weisenberger

Oberstudiendirektor


Nach dem „Wiekurz“ erschienen noch weitere Ausgaben unter den Einzeltiteln „Schierlingsbecher“, „Kafka Hauser“ und „Dauerlutscher“. Daraus erwuchsen danach die Publikationen „Outonom“ und „Die Provinz“.

Sonntag, 21. Februar 2010

Wochenplan

Pressevorführungen „Boxhagener Platz“, „The blind side“, „Baaria“, „Green Zone“, „Greenberg“, „Alice im Wunderland“, „Vincent will Meer“, „All about Steve“ und „Jerry Cotton“, das neue „In München“, die neue „freundin“, Münchner Marionettentheater, Vernissage Maria Lassnig / Kunstbau, la nuit des César

(Foto: Lena Deinhardstein MUMOK Wien/© Maria Lassnig)

Samstag, 20. Februar 2010

Bayerischer Journalisten-Verband kritisiert LMU

Im „BJV-report“ 1/2010 äußert sich jetzt anderthalb Monate nach dem Deutschen Journalisten-Verband auch der Bayerische Journalisten-Verband Mitte Februar (der aber meine Mail von Ende Dezember bis heute unbeantwortet ließ): „Ein reiner Verfahrensfehler“, zitiert Alois Knoller in seinem Artikel die LMU-Pressesprecherin Luise Dirscherl, die sich am 2. Februar mit LMU-Kanzler Christoph Mülke und BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel zusammensetzte, um die Aussperrung der Medien zu diskutieren.
Denn „der BJV hatte sich 'mit großer Verwunderung' über die von Münchner Kollegen berichtete Behinderung der freien Berichterstattung ans LMU-Pressereferat gewandt und um Aufklärung der Vorgänge gebeten.“  
 „Möglicherweise“ hätten Wachleute nicht nur Besetzern und Sympathisanten, sondern auch Journalisten den Zugang zur LMU verweigert. In einer vergleichbaren Situation, so Mülke, würde man heute anders entscheiden.
Wie nun? War es ein Irrtum der Wachleute? Dann müßte die Universitätsleitung auch nicht anders entscheiden. Oder war die Behinderung der Presse von der LMU gewollt? Dann läge kein Verfahrensfehler vor.
So oder so: Kein Wort dazu, daß nicht nur die Wachleute zuständig waren, sondern ein massives Aufgebot an Einsatzkräften der Polizei nach Rücksprache mit der LMU Journalisten den Zutritt zur Universität verweigerten.

Update vom 24. Januar 2020
Über zehn Jahre später scheint die LMU nichts dazugelernt zu haben. Bei einer #unibrennt-Veranstaltung sind wieder Studenten ein- und Journalisten ausgesperrt worden. „Unartige Kinder einzusperren, gehört zu den Methoden der Schwarzen Pädagogik von Erwachsenen. Damit jüngere Menschen zur Räson zu bringen wirkt 2020 - jedenfalls hierzulande - wie ein inadäquates Mittel aus vordemokratischen Zeiten. Und wie schon früher: Gebracht hat es auch am Mittwochabend in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nicht viel“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“.

Literatur als Leichentuch einer Liebe

Eine 17-Jährige Bestsellerautorin, Geschichten um tabulosen Sex, einschlägige Clubs und den Rausch der Phantasmen, und das nicht etwa in unserer Zeit, sondern Ende der siebziger Jahre, als Teenager in der Regel noch Kinder waren und die Erwachsenen nicht forever young zu bleiben trachteten.
Als ich in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Wochenende las, daß Helene Hegemann in ihrer nachgetragenen Danksagung auch Valérie Valères „Haus der verrückten Kinder“ nennt, wunderte ich mich nicht. War Valères Leben wie Literatur doch sogar ausdrucksstark genug, um nicht nur wiederverwendet zu werden, sondern mich sogar zur Gründung eines Verlages zu bewegen.
„Das Haus der verrückten Kinder“, die Autobiografie ihrer Jugend als Magersüchtige in der Psychiatrie, war in Frankreich wie Deutschland (Rowohlt) ein Bestseller gewesen, und ich verabredete mich mit Valère um 1980 herum, um sie für meine damalige Zeitschrift „Outonom“ zu interviewen. Die – ein Jahr jüngere – Jodie Foster bei Dreharbeiten in la Victorine bei Nizza, Valérie Valère – mein Jahrgang! – zu einem Interview im Pub Relax in St.-Germain-des-Prés, es war eine ungewöhnliche Generation junger Frauen, die ich damals für meine ersten publizistischen Gehversuche traf. Von wegen „Göre“, um einen derzeit gern benutzten Vorwurf zu zitieren. Und würde Willi Winkler da auch von „Frischfleisch“ und „Kindsmissbrauch“ durch den Kulturbetrieb faseln?
Der Erfolg ihres Erstlings befreite Valère aus den Fängen ihrer Familie und jeglicher anderer Konventionen, erlaubte ihr ein selbstbestimmtes Leben, selbst wenn dieses Leben zunehmend aus der täglichen Täuschung mit Weckaminen, Barbituraten und Rauschmitteln bestand. Ihre Entscheidung.
Ihr zweites Buch, „Malika“, die inzestuöse Geschichte eines Geschwisterpaars, war auch noch in Deutschland bei Wunderlich erschienen, aber bald nur noch als ungebundene Makulatur auf Halde gelegen. Und als sie mir am Bistrotisch von ihrem neuen Roman, „Obsession Blanche“, erzählte, der rücksichtslosen Darstellung einer Schreibblockade, die in Deutschland niemand veröffentlichen wollte, änderte ich das, indem ich – mit Anfang 20, ohne Geld – den Popa-Verlag gründete und das Buch unter dem Titel „Weißer Wahn“ verlegte. (Die Druckbögen von „Malika“ kaufte ich Wunderlich ab, ließ sie binden und brachte sie ebenfalls wieder in den Buchhandel.)
Einen kleinen Skandal um Originalität und Echtheit, ein Skandälchen gibt es auch zu beichten. Das Foto, das uns beide nebeneinander zeigt und von meinem Verlag, von mir zur Öffentlichkeitsarbeit benutzt wurde, ist eine Fälschung. Eine Fotomontage. Nach dem Interview im Pub Relax haben wir uns nie mehr wiedergesehen. Valérie Valère starb 1982, mit 21, in ihrem Refugium, der erschriebenen kleinen Wohnung. Die Todesmeldung las ich irgendwo zwischen Ismaning und Oberammergau, wo das Buch gerade entstand. Ich meine mich zu erinnern, daß sie beim Rauchen in ihrem Medikamenten- und Drogenrausch eingeschlafen und verbrannt wäre. Auf Wikipedia ist von einem Herzstillstand nach Medikamentenmißbrauch die Rede. Geschichten von Wunderkindern sind meist Tragödien, das sollte man nie vergessen.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Serge Gainsbourg: Ein Buch – drei Titel


1988: „Die Kunst des Furzens. Das explosive Leben des Evguenie Sokolov“, Goldmann-Verlag.
2010: „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“, Blumenbar-Verlag

„Eine finstere, selbstzerstörerische Künstler-Phantasie, eine Parabel auf einen Kulturbetrieb, der zur Not auch noch Abluft verklärt, und dann, das ist das Schönste an Sokolov, erkennt man dann doch die Sensiblität und den Selbstzweifel und die Finesse darin, die Gainsbourg ausmachten.“ Susan Vahabzadeh im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ vom 27. Oktober 2010 anläßlich der Neuauflage.

Montag, 15. Februar 2010

Todesszene im SZ-Sportteil: Degoutant, unangemessen oder notwendig?

Ein ungeschnittenes Video von Nodar Kumaritaschwilis Todessturz in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten, das Sterbebild in der Zeitung, der Wahn ums Schneller, Höher, Weiter macht auch vor den Medien nicht halt. Immer öfter verletzt man die gebotene Distanz und illustriert traurige Nachrichten mit sensationsheischenden Bildern, mit Blut, Leichen und Todesszenen. Glücklicherweise nicht immer ohne Widerspruch, der durchaus auch aus den eigenen Reihen stammt:

„Die Auswahl des Aufmacherfotos im Sportteil der Montag-Ausgabe hat viele Leser gestört oder empört. Auch in der Redaktion wurde kontrovers diskutiert, ob man den georgischen Rodler in den Sekundenbruchteilen vor seinem tödlichen Aufprall gegen einen Metallpfeiler zeigen sollte. Einige Redakteure fanden es unangemessen, mehrere degoutant, andere wiederum notwendig, um sowohl die Dimension des Unfalls als auch seinen Hergang zu zeigen. Im Zusammenhang mit dem zweiten Bild auf der Seite – auf dem die umgebaute Passage der tödlichen Kurve zu sehen war – sollte außerdem erkennbar gemacht werden, welche Maßnahmen (zu spät) ergriffen worden waren, um die Bahn sicherer zu gestalten.“
„In eigener Sache“ der „Süddeutschen Zeitung“ vom 16. Februar 2010

Updates: Twitterer Breisacher, als Gunnar Jans, Sportchef der „Abendzeitung“, die das gleiche Bild wie die „Süddeutsche“ abgedruckt hat, nicht ganz unparteiisch, weist auf ein noch wesentlich widerwärtigeres Bild im Sportteil der „tz“ hin und verteidigt das von ihm und der „SZ“ veröffentlichte Bild als „journalistisch notwendig“, wenn auch „nicht unproblematisch“. Wobei die „AZ“ online ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so brutales Motiv von den blutigen Reanimationsmaßnahmen wie die „tz“ veröffentlicht hat.

Die Tagesschau will zwar die Würde des Opfers wahren: „Keine Frage war, dass wir bei ARD aktuell die Bilder des Todes nicht zeigen wollen. Es spielt dabei für uns keine Rolle, ob ARD und ZDF die Bildrechte haben. In unseren Nachrichtensendungen machen wir das nicht.Wir haben nicht den gehenkten Saddam gezeigt, wir haben auf entwürdigende Bilder von geretteten Menschen in Haiti verzichtet, um nur zwei eklatante Beispiele zu nennen, und wir mühen uns immer, von uns selbst gesetzte Grenzen nicht zu überschreiten. Das erspart uns nicht, die Bilder zu beurteilen. Ich habe sie gesehen, ich musste sie mir ansehen, mein Kollege Nadvornik stand in Whistler fast unmittelbar daneben. Es sind schreckliche Bilder, die man unseres Erachtens in einer Nachrichtensendung nicht zeigen sollte, obwohl es sie gab.“
Gleichwohl haben sie mehr oder weniger dieselbe Szene wie die Printkollegen von „Abendzeitung“ und „Süddeutsche“ präsentiert: „Wir haben einen kurzen Augenblick gezeigt, in dem es Nodar Kumaritaschwili aus dem Schlitten hebt. Keine Wiederholung, keine Zeitlupe, auf keinen Fall. Die Frage für uns war: Was muss ich sehen, um die Gefährlichkeit der Bahn beurteilen zu können. Was ist nicht notwendig.“ 

Auf Michael Bienerts Interpretation, die Todesszene störe „das bunte Bild vom ungetrübten Sportfest in Vancouver, das sich Sportsfreunde, Funktionäre und offenbar auch viele Journalisten wünschen“, und ihr Abdruck wäre jetzt also der Inbegriff kritischer Berichterstattung, wäre ich ehrlich gesagt nie gekommen. Auch hier wird offenbar wenig auf den Nachrichteninhalt und die Macht des Wortes gegeben. Findet der „Tod auf der Sportseite“ wirklich nurmehr adäquat statt, wenn man ihn egoshootermäßig präsentiert, um jetzt mal zu polemisieren?