Der Treppenwitz beim Gezeter um die Partymeile Schellingstraße ist das Bürgerbüro des Bezirksausschusses Maxvorstadt. Denn das Gremium, das die Nachbarschaftsinitiative für eine l(i)ebenswerte Maxvorstadt beim Kampf gegen
„verbieselte Hauswände, Erbrochenes, sogar Fäkalien in Hauseingänge“ („Abendzeitung“) einstimmig unterstützt, residiert seit Anfang der 1990er-Jahre in einer ehemaligen Bedürfnisanstalt.
Symbolträchtiger kann man nicht darstellen, was der Stadt die Bedürfnisse ihrer Bürger wert sind. Seit Jahrzehnten entfernt sie öffentliche Toiletten wie eben in der Schellingstraße oder, um nur ein paar aufzuzählen, etwa auch am Kronepark, am Luise-Kiesselbach-Platz, am Gasteig, Großmarkt, an der Lerchenfeldstraße, am Herkomerplatz und am Holzplatz ersatzlos oder wandelt sie in den paar verbleibenden U-Bahnhöfen in Bezahlklos um. Pecunia non olet. (Und die abgehobene „Süddeutsche Zeitung“ jubelt jede Zweckentfremdung einer Toilette dann gerne hoch. Schließlich schreibt man lieber über das drölfzigste Café oder Kunst-Pop-up als über das tägliche Geschäft.)
Und wenn Stadt oder Staat viel Geld in die Hand nehmen, um eine Tiefgarage samt Spielplatz am Josephsplatz zu errichten oder das Gärtnerplatztheater zu renovieren, verpasst man die seltene Chance, dabei auch an die täglichen Bedürfnisse vor Ort zu denken. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: München hat ein Toilettenproblem, das mit einer latenten wie haltlosen Furcht vor Schwulen, Sexworkern und Drogensüchtigen verknüpft ist. Weshalb die verbleibenden Bezahltoiletten und die wenigen, dank einer Initiative der Rathaus-Grünen neu entstehenden, kostenlosen Klos nachts verschlossen bleiben. Denn die braven Bürger*innen bleiben in der Vorstellung der Stadtoberen nachts daheim und haben sich nicht herumzutreiben.
Das Problem verschärft sich stets dort, wo öffentliche Plätze durchaus mit ideeller oder gar baulicher Unterstützung der Stadt zu Hot Spots werden: Ob an der Münchner Freiheit, dem Wedekindplatz, am Gärtner- oder Josephsplatz oder eben im Karree Schelling-/ Türken-/ Amalienstraße.
Das Gezeter ist dann immer groß, wenn die den öffentlichen Raum nutzenden Münchner*innen ihre Notdurft in den Büschen, zwischen den parkenden Autos oder am umliegenden Mauerwerk verrichten.
In der Schellingstraße kam die Bezirksinspektion Mitte des Kreisverwaltungsreferats nun auf die glorreiche Idee, den inkriminierten Spätis vorzuschlagen, ihre Klientel in die benachbarten Bars, Kneipen und Restaurants zu schicken, die schon darunter leiden, dass ihnen die Spätis Gäste abspenstig machen: Man solle
„ein Abkommen mit angrenzenden Gaststätten zur Mitbenutzung derer Toiletten“ treffen.
Genau so ein Abkommen war bereits früher einmal angedacht, nur dass es die Landeshauptstadt selbst mit den Wirten treffen wollte. Das in Deutschland, Österreich und der Schweiz betriebene Projekt heißt Nette Toilette. Ausgewählte Wirte sollten von der Landeshauptstadt monatlich dreißig Euro dafür bekommen, dass sie ihre Toiletten nicht nur den eigenen Gästen öffneten, sondern auch Leuten von der Straße.
Die Pläne werden nun bereits seit dem Jahr 2014 (!) hin und her gewälzt und wechselten inzwischen vom Kommunalreferat ins Referat für Arbeit und Wirtschaft. Dachte man beim ersten Antrag der SPD-Rathausfraktion 2014 noch eher an Gaststätten in Nähe von toilettenlosen Spielplätzen zielt man inzwischen eher auf das Kunstareal und weitere touristisch herausragende Orte. Es wurden auch Münchner Lokale schon konkret darauf angesprochen, aber letztendlich bis heute nichts realisiert, weil es einerseits die Stadt summa summarum zu teuer gekommen wäre, die Rede war von jährlich 100.000 Euro, und andererseits die angebotenen dreißig Euro für einen Wirt in keinem Verhältnis zu dem Mehraufwand bei der Kloreinigung stehen. Von der Störung des Gastbetriebs durch die von draußen einfallenden Klogänger*innen ganz zu schweigen.
Die Realität sieht weiterhin eher so aus, dass etwa am Wedekindplatz an Spieltagen die Gäste der überfüllten Hopfendolde sich lieber draußen gegenüber am Schloss Urin erleichtern als zur kneipeneigenen Toilette durchzukämpfen.
In der Schellingstraße gibt die Stadt die Arschkarte an die Spätis weiter, während die nächstgelegenen öffentlichen Toiletten im Univiertel von Stadt und Staat hinter Zugangssperren gesteckt werden: Die Nutzung der Toilette im U-Bahnhof Universität kostet 60 Cent und an der Veterinärstraße gegenüber vom Milchhäusl im Englischen Garten werden für die früher kostenlose Toilette inzwischen 50 Cent fällig, um eine Drehschranke zu überwinden. (Dafür gibt es immerhin einen Wertbon fürs Milchhäusl.)
Dass es auch anders geht, zeigte sich während der Coronazeit. Damals waren die U-Bahn-Toiletten kostenlos zugänglich und beispielsweise an der Münchner Freiheit und Universität auch nachts geöffnet. Sie wurden gerade von Frauen eifrig genutzt. Und es wäre mir nicht bekannt, dass es zu dem Vandalismus gekommen wäre, den die Stadtverwaltung und Spießbürger*innen immer gern den Nachtschwärmer*innen unterstellen.
Letztendlich könnte es enden, wie es oft endet, wenn die Stadt Aktionismus entwickelt. Man wird ein Dixiklo aufstellen, wofür das Baureferat aber auch immer Monate, wenn nicht Jahre benötigt, um es tatsächlich umzusetzen.
