Mit einem Ausstellungsraum der neuesten Fahreugmodelle im Erdgeschoss, dem ersten Stock als leeren Limbus und dem zweiten Stock als Großraumdisco samt Terrasse stand nun gestern Abend ein künstliches Konsumparadies am Stachus. Nur dass man lieber nicht so genau hinschauen sollte. Zumindest die Feuerpolizei scheint es nicht getan zu haben. Stolperfallen an den Treppen, Neonröhren am Treppengeländer und ein massives Mauerstück an der Terrassentür wünscht man sich eher nicht bei Fluchtwegen. Und selbst an diesem panikfreien Partyabend purzeln die Leute.
Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Das Publikum schien fest entschlossen, sich zu amüsieren. Und es wirkte auch nicht, als ob es bei den Getränkepreisen zweimal nachdenken müsste. Alle, die es an den mehrfachen Kontrollen vorbei reingeschafft hatten, fühlten sich großartig oder taten zumindest so. Wenn Instagram eine Großraumdisco wäre, würde es genau so aussehen wie im Lovecraft letzte Nacht.
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Sonntag, 3. September 2023
Lovecraft – Oder: Wenn Instagram eine Großraumdisco wäre
Auch wenn die die Automobilindustrie erst Montag zum Stehrumchen bittet und die IAA Mobility selbst erst am Dienstag eröffnet wird, wurde gestern Abend schon ein Vorgeschmack geboten. Nur worauf, da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Den Marken- und wohl auch finanziellen Rahmen der Sause hat ein Münchner Automobilhersteller gestellt. Eingeladen hat aber auch Gregor Wöltjes und Michi Kerns neuestes Projekt, das Lovecraft, eine Zwischennutzung der acht Geschosse im ehemaligen Kaufhof am Stachus mit über 25.000 Quadratmetern. Über seinen Newsletter-Verteiler und Instagram-Account streute Lovecraft den Einladungslink zu der geschlossenen Veranstaltung. Wer sich nicht vorab registriert hatte, blieb draußen. Darunter die schönsten Nachtschwärmer. Aber auch der Fotograf einer Münchner Tageszeitung.Sieben Tage vor dem offiziellen Lovecraft-Eröffnungswochenende also eine Art Pre-Opening auf drei der acht Geschosse. Bereits kurz nach Veranstaltungsbeginn um 22 Uhr erstreckte sich die Warteschlange dreißig Meter weit bis zu den seitlich campierenden rumänischen Roma, die sonst immer am Haupteingang schliefen, aber seit Tagen von den Betreibern vertrieben worden waren. Dennoch haben die Rumänen nur freundliche Worte für Kern & Co., das seien anständige, freundliche Leute. Und das ist vielleicht auch das Kernphänomen dieser professionellen Zwischennutzer. Gemocht zu werden, was immer sie auch tun. Ob im Sugar Mountain, Fat Cat oder Lovecraft.Die hölzernen Schwären der bevorstehenden IAA Mobility, die derzeit die gesamte Innenstadt bedecken, beschränken sich nicht auf Münchens Plätze und Straßen, sondern scheinen bis ins Lovecraft eingedrungen zu sein. Anstatt dass man die räumlichen Gegebenheiten des ehemaligen Kaufhausgebäudes kreativ aufgefangen, Wände besprüht, den genius loci genutzt hätte, scheint ein Messebauer zumindest den gestern genutzten drei Etagen ein hölzernes Korsett angelegt zu haben. Nur eine Rutsche vom ersten Stock ins Parterre läßt erahnen, was möglich gewesen wäre. Oder vielleicht auch ist. Bis zur Pressebegehung am Dienstag und der Eröffnung nächstes Wochenende mag sich die Nutzfläche im Gebäude noch wandeln, zumindest aber vergrößern.
Samstag, 2. Januar 2016
Cavos – Viel Rauch um nichts?
Philipp Crone ist quasi der Gesellschaftsreporter der „Süddeutschen Zeitung“. Und so fungiert er in seinem großen Silvester-Interview mit dem Münchner Großgastronom Michi Kern („Pacha“, „Lost Weekend“, „Reitschule“) denn leider auch eher wie ein Stichwortgeber denn als kritisch nachfragender Journalist:
SZ: „Was hat man als Gastronom mit Bürgerversammlungen zu tun?“
Michi Kern: „Sobald man in einem Lokal Ärger mit Anwohnern hat. Und das ist ja durch das Rauchverbot fast unvermeidlich. Sobald drei Leute vor dem Eingang stehen, gibt es Ärger. Meiner Meinung nach haben die Bezirksausschüsse diese Diskussion lange Zeit stark angeheizt, dass sie jetzt oft gar nicht mehr zurückrudern können. Auch da tut sich etwas, man spricht wieder mehr miteinander, aber eine Zeit lang war das pure Konfrontation. Da ging es meistens nicht um Kompromisse, sondern darum, Läden zu schließen. Aus diesem Grund wurde auch das Cavos geschlossen.“
Wegen ein paar Rauchern vor dem Lokal im Untergeschoß der Reitschule? Wegen weniger Gäste, die der Türsteher nicht in Griff bekam? Vielleicht derselbe Türsteher, der im Dezember 2014 ein paar Wochen vor der Schließung die hereindrängenden Polizeikräfte ebensowenig in Griff bekam und während einer Drogenrazzia in eben diesem, gerade bei Promis recht beliebtem Cavos etwas unsanft von den USK-Beamten die Treppe heruntergestoßen worden sein soll? Crone hakt nicht nach.
Für die Schließung waren aber nicht etwa die „Drogen zwischen Tellerstapeln“ („Süddeutsche Zeitung“ – Koautor: Philipp Crone) verantwortlich. Das Ende stand schon vorher fest. Cavos-Chef Florian Faltenbacher beschwerte sich seinerzeit gegenüber den Münchner Tageszeitungen sogar ausdrücklich unter Verweis auf die Schließung über die Polizei und bezeichnete die Aktion der Drogenfahnder als übertrieben und „absolute Schikane“. „Ich bin mehr als enttäuscht.“ Er könne nicht verstehen, warum die Polizei sich die Mühe mache, einen Laden, der eh zusperrt, noch mal auf Drogenkonsum zu durchsuchen. (Überhaupt spielten Drogen in der „SZ“-Serie über die „Macher der Nacht“ eine geringfügige Rolle, die in keinem Verhältnis zu deren Bedeutung im Nachtleben steht.)
Aufgegeben wurde das Cavos von den Pächtern bereits zuvor aus eigenem Antrieb, nachdem ihnen seitens der Behörden die Konzession soweit eingeschränkt wurde, daß sie bereits um 22 Uhr schließen mußten. Der Gründe gab es genug: Eine neue Lüftung, die den Küchendunst direkt zu den Nachbarn trieb. Ein Wirtsgarten, der offenbar nie genehmigt worden war. Und im Garten wie im Lokal selbst ein Gästeaufkommen, das sämtliche Auflagen hinsichtlich der zulässigen Kapazität ignorierte. Da kam es auf die paar Raucher vor der Tür auch nicht mehr an, um das Ende einzuleiten.
SZ: „Was hat man als Gastronom mit Bürgerversammlungen zu tun?“
Michi Kern: „Sobald man in einem Lokal Ärger mit Anwohnern hat. Und das ist ja durch das Rauchverbot fast unvermeidlich. Sobald drei Leute vor dem Eingang stehen, gibt es Ärger. Meiner Meinung nach haben die Bezirksausschüsse diese Diskussion lange Zeit stark angeheizt, dass sie jetzt oft gar nicht mehr zurückrudern können. Auch da tut sich etwas, man spricht wieder mehr miteinander, aber eine Zeit lang war das pure Konfrontation. Da ging es meistens nicht um Kompromisse, sondern darum, Läden zu schließen. Aus diesem Grund wurde auch das Cavos geschlossen.“
Wegen ein paar Rauchern vor dem Lokal im Untergeschoß der Reitschule? Wegen weniger Gäste, die der Türsteher nicht in Griff bekam? Vielleicht derselbe Türsteher, der im Dezember 2014 ein paar Wochen vor der Schließung die hereindrängenden Polizeikräfte ebensowenig in Griff bekam und während einer Drogenrazzia in eben diesem, gerade bei Promis recht beliebtem Cavos etwas unsanft von den USK-Beamten die Treppe heruntergestoßen worden sein soll? Crone hakt nicht nach.
Für die Schließung waren aber nicht etwa die „Drogen zwischen Tellerstapeln“ („Süddeutsche Zeitung“ – Koautor: Philipp Crone) verantwortlich. Das Ende stand schon vorher fest. Cavos-Chef Florian Faltenbacher beschwerte sich seinerzeit gegenüber den Münchner Tageszeitungen sogar ausdrücklich unter Verweis auf die Schließung über die Polizei und bezeichnete die Aktion der Drogenfahnder als übertrieben und „absolute Schikane“. „Ich bin mehr als enttäuscht.“ Er könne nicht verstehen, warum die Polizei sich die Mühe mache, einen Laden, der eh zusperrt, noch mal auf Drogenkonsum zu durchsuchen. (Überhaupt spielten Drogen in der „SZ“-Serie über die „Macher der Nacht“ eine geringfügige Rolle, die in keinem Verhältnis zu deren Bedeutung im Nachtleben steht.)
Aufgegeben wurde das Cavos von den Pächtern bereits zuvor aus eigenem Antrieb, nachdem ihnen seitens der Behörden die Konzession soweit eingeschränkt wurde, daß sie bereits um 22 Uhr schließen mußten. Der Gründe gab es genug: Eine neue Lüftung, die den Küchendunst direkt zu den Nachbarn trieb. Ein Wirtsgarten, der offenbar nie genehmigt worden war. Und im Garten wie im Lokal selbst ein Gästeaufkommen, das sämtliche Auflagen hinsichtlich der zulässigen Kapazität ignorierte. Da kam es auf die paar Raucher vor der Tür auch nicht mehr an, um das Ende einzuleiten.
Sonntag, 8. März 2015
Donnerstag, 1. Januar 2015
Déja-vu: Weniger ist mehr – Michi Kerns „Lost Weekend“
Für die Dezember-Ausgabe des Branchenmagazins „BuchMarkt“ habe ich auf vier Seiten Michi Kerns neuestes Projekt, einen Mix aus Buchhandlung und veganem Coffeeshop auf dem City-Campus der Ludwig-Maximilians-Universität, vorgestellt. Hier die ungekürzte, leicht aktualisierte Textfassung.
„Kann man die Bücher auch kaufen?“ Die Mitarbeiterin von Random House, die kurz nach der Eröffnung zufällig vorbeigekommen und unweigerlich ins Lost Weekend hineingezogen wurde, ist sich nicht sicher. Was ist das? Ein Café? Eine Galerie? Ein Buchladen? Jahrzehntelang befand sich an selber Stelle die Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank. Fast zwei Jahre stand der Gewerberaum im Erdgeschoß der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) leer. Und jetzt ist alles anders. Zur Straße hin große Tische, die eher an das Refektorium eines Klosters denn an ein Kaffeehaus erinnern. Dann ein blitzförmig den Raum durchschneidendes Regal, das Reclams Universal-Bibliothek so ziemlich vollständig Rücken an Rücken präsentiert. Und dahinter ein Tisch und ein paar Regale, an denen eine kleine, ausgesuchte Kollektion an Sachbüchern und literarischen Titeln, viele Graphic Novels, aber auch ein halbes Dutzend Ausgaben der preisgekrönten Zeitschrift „Reportagen“ in Frontpräsentation zum Blättern, Lesen und eben auch zum Kaufen einladen.
2012 mußte Martin von Rudloff mit seiner Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank Insolvenz anmelden. Ein paar Monate lang nutzten Untermieter des Insolvenzverwalters mit dem „Bücher Cosmos“ Immobilie und Restware noch als modernes Antiquariat. Dann wurde der Raum saniert. Die Einrichtung verschwand. Mit ihr das Zwischengeschoß oberhalb der Regale sowie die großzügigen Kellerräume. Und auch die interessierten potentiellen Nachmieter – C.H. Beck, Buch & Töne, der Augsburger Christian Hammer werden hier genannt – verschwanden. Selbst etablierten Gastrobetrieben waren die erforderlichen Investitionen und der von der Universitätsverwaltung aufgerufene Mietzins zu hoch.
„Das kann ich nur zahlen, wenn ich eine Disco daraus mache“, winkte etwa der altgediente Münchner Club- und Cafébetreiber Michi Kern (Pacha, Café Reitschule) ab. Kern, der nebenbei auch noch täglich als Yoga-Lehrer unterrichtet und an der vom Jesuitenorden geführten Hochschule der Philosophie studiert, hat bereits einmal eine Immobilie spektakulär neu erfunden, als er das Zerwirkgewölbe, Münchens Jahrhunderte alte Metzgerei für Wildspezialitäten in ein veganes Restaurant namens Zerwirk mit angeschlossenen Club und Live-Bühne verwandelte. Inzwischen hat er sich aus der Immobilie zurückgezogen, so wie er oft nur als eine Art menschlicher Inkubator oder Business-Angel Projekte initiiert und realisiert. Die richtige Idee mit den richtigen Leuten umsetzen, ohne unbedingt auf Dauer eine Beteiligung zu halten.
Diesen Sommer, schon ziemlich knapp vor Beginn des Wintersemesters, kam die Universitätsverwaltung, nachdem alle Bewerber aufgegeben hatten, erneut auf ihn zu. Und diesmal ging es fix. Die Miete wurde neu verhandelt. Die Umbaukosten wurden minimiert, indem Kern auf den für Buchhandlungen eher ungewohnten Stil eines Pop-up-Stores setzt: die Wände nackter Beton, teils saniert, aber auch im angegriffenen Originalzustand. Die Decke mit all ihrer Ver- und Entsorgungstechnik offen, von nahezu industriellem Charme. 110 Quadratmeter Ladenfläche mit Ecken und Kanten. 30 Quadratmeter für Toiletten und Lager.
„Der Raum ist Wahnsinn“, so Kern. Lost Weekend taufte er den Laden. Nicht etwa nach Charles R. Jacksons legendärem, von Billy Wilder verfilmten Alkoholiker-Drama „Das verlorene Wochenende“. Von dem Roman hatte Kern, der Mitarbeitern zufolge geschlossene Werke eher ungern liest, zuvor nie gehört. Ein Artikel von Willi Winkler auf Seite Drei der „Süddeutschen Zeitung“, über John Lennons „Lost Weekend“, eine Liebesaffäre Anfang der siebziger Jahre, gab die Inspiration.
Musik gibt es hier nicht zu kaufen, aber – für eine Buchhandlung eher ungewöhnlich – zu hören. Ein Sound, wie man ihn auch in Bars hören kann, Elektro, Experimentelles, Indie, gern auch im Club-Remix. Die Klientel stört es nicht, selbst Jurastudenten büffeln, ihren Schönfelder auf den angemessen großen Tischen ausgebreitet, in gemeinsamen Studiergruppen, ohne sich daran zu stören, dass hier nicht die andächtige Stille der Staatsbibliothek um die Ecke herrscht. Ganz im Gegenteil. Fragen nach dem Größenanteil von Café und Buchhandlung wehrt Kern gleich ab. Für ihn ist der ganze Raum eine Buchhandlung. Die Leseinseln, mit denen Hugendubel am Marienplatz vor langer Zeit Furore gemacht hat, werden hier einfach zeitgemäßer interpretiert. Die Menschen sollen kommen und ohne Verkaufsdruck bleiben. Ob sie nun ein Buch kaufen wollen oder nur darin blättern, am Computer arbeiten, sich unterhalten oder einen Kaffee trinken wollen. Nichts muß konsumiert oder erworben werden.
Gleich zwei W-LAN-Netze stehen zur Verfügung. Das paßwortgeschützte W-LAN der Universität für Studenten und Mitarbeiter der Hochschule. Aber auch ein weiteres, offenes W-LAN der Buchhandlung. Das Lost Weekend droht aber dennoch kein Hangout der digitalen Bohème zu werden, an dem jeder für sich allein surft und keiner miteinander redet. Mit Absicht hat man sich für große Tische entscheiden, an denen keiner allein sitzt, sondern man zwangsläufig einen Platz und hoffentlich ein Gespräch teilt. „Wir haben die Musik absichtlich etwas lauter gedreht“, so Kern, „damit die Leute auch lauter sprechen müssen und so mit ihren Nachbarn leichter in Kontakt kommen.“
Die Einrichtung aus gebürsteter Fichte wurde von Schreinern auf Maß angefertigt. Das tatzelwurmförmige Regal für um die 2895 Reclam-Bücher ist ein Entwurf des Berliner Konzeptkünstlers Björn Wallbaum, der für dieses Ladenprojekt nach München zog und gemeinsam mit Kern, Elisabeth Kieser und Markus Horn zu den Gesellschaftern der GmbH gehört, oder – in den Worten der Macher – zum „Kollektiv“. Für die ungewöhnlichen Stühle griff Wallbaum auf Entwürfe des Radikalen Enzo Mari zurück, der etwa zur selben Zeit, als das Universitätsgebäude in der Schellingstraße errichtet wurde, in Italien unter dem Titel „Autoprogettazione“ komplette Einrichtungen zum Selbstbauen für Leute entwarf, „die nicht viel Geld haben“. Wallbaum fragte ihn per Brief, ob man sein Design kopieren dürfte. Der Mailänder schickte ihnen daraufhin postwendend seine Entwürfe.
Während das StuBistro, die Cafeteria der Sprach- und Literaturwissenschaftler im selben Gebäude, unter Münchner Studenten einen eher schrecklichen Ruf genießt, setzt das Lost Weekend des Veganers Michi Kern mit seinem Self-Service-Angebot auf Frisches und verzichtet auf tierische Produkte. Ob beim Kuchen, Salat, Müsli, der veganen „Butter“-Breze oder den Heißgetränken, die dann eben mit Soja-, Mandel- oder Hanfmilch verfeinert werden.
Den Kaffee und die Schmankerl gibt's – ohne Buchverkauf – auch Freitag und Samstag abends oder sonntags, die Buchhandlung dagegen ist mit Rücksicht auf das strenge bayerische Ladenschlußgesetz nur montags bis samstags von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr zugänglich.
Buchhändlerin Irene Held, keine Gesellschafterin im Kollektiv, sondern dort angestellt, nutzt die ruhige Morgenstunde, um die Barsortimentslieferungen (Umbreit) zu bearbeiten. Held, die aus dem Tutzinger Buchhändlerclan stammt und zuletzt in der Starnberger Bücherjolle gearbeitet hat, stieß zuletzt zum Team. Für Kern, der Heinrich Frank noch persönlich erlebt hat und mit Martin von Rudloff befreundet ist, stand von Anfang an fest, dass wie bereits früher an gleicher Stelle „Reclam als Basis und schneller Einstieg für Studenten“ einen Schwerpunkt des Angebots bilden müßte. Reclam-Vertreterin Friederike Rother vermittelte ihm nicht nur die gewünschte Ware, sondern brachte ihn auch mit Held zusammen, die jetzt mit drei bis vier Aushilfen den buchhändlerischen Part bestreitet und langfristig auch im Laden ausbilden will: „Ich habe die Lizenz dazu“.
Neben den tausenden von Reclam-Heftchen gab es in der Eröffnungswoche etwa zweihundert Titel anderer Verlage, die vor allem die engagierten, sozialkritischen Interessengebiete von Kern widerspiegeln: Philosophie, Nachhaltigkeit, Politik, Geschichte, ein bißchen Belletristik. „Die Buchhandlung wird wachsen und im nächsten halben Jahr an Fleisch gewonnen haben“, verspricht Wallbaum. Die offenbar von den Studenten sehr gut angenommenen dokumentarischen Graphic Novels haben bereits nach wenigen Tagen die doppelte Präsentationsfläche erhalten. Nun soll Buchhändlerin Held auch noch das literarische Profil schärfen. Englischsprachiges, wie etwa „CAFO – The Tragedy of Industrial Animal Factories“, wird dagegen die Ausnahme bleiben, um nicht Words’ Worth Booksellers nebenan Konkurrenz zu machen.
Beim Bestreben, dem Gedruckten auch noch Leben einzuhauchen, kommt Kerns Netzwerk als alteingesessener Veranstalter, Caterer und Partykönig am stärksten zur Geltung. „Lesungen macht jeder“. Stattdessen will man die guten Kontakte zum Residenztheater, den Kammerspielen und der Falckenbergschule für darstellende Kunst nutzen, um Bücher mit Schauspielern als Live-Hörspiele zu inszenieren. Man will auch nicht nur in den eigenen vier Wänden agieren, sondern mit mobilen Büchertischen in die Theaterfoyers hinein, auf Symposien, Konferenzen und im Gegenzug auch Intendanten, Professoren, Regisseure und sonstige Vordenker einladen, Buchregale zu kuratieren, sprich: ihre Lieblingsbücher, ob namentlich oder anonym, im Lost Weekend zu präsentieren.
Im vom Buchhandelssterben geprägten Univiertel sorgt damit ein Buchladen für kreative Unruhe. Auch wenn man zweimal hinsehen muß, um es überhaupt als Buchhandlung zu identifizieren. Durch die raumhohen Fenster wirkt es auf den ersten Blick nur wie ein sehr gut besuchtes Café. Die vielen Schaukästen, an denen täglich tausende von Studenten vorbeilaufen? „Es gibt Spannenderes, als Bücher reinzustellen.“ Stattdessen Fotoprints von Jens Schwarz, wie auch in der Buchhandlung selbst in Zusammenarbeit mit Münchner und Berliner Galerien Kunstwerke ausgestellt werden, etwa ein Neonschriftzug von Pietro Sanguineti („Prophecy“) oder demnächst vielleicht auch ein Bild des Fotografen Larry Clark. Letzteres wäre nur eine Leihgabe („Es ist so teuer, dass wir es uns nicht leisten können.“).
Vom über der Buchhandlung schwebenden alten Firmennamen Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank hat Michi Kern den Eigennamen noch in der Eröffnungswoche entfernen lassen. „Wäre da Martin von Rudloff gestanden, hätte ich den Namen gelassen. Aber ich habe Heinrich Frank noch kennengelernt. Ein unangenehmer Mensch. Ich war heilfroh, als Martin damals den Laden übernommen hatte.“ Jetzt versucht Michi Kern mit seinen Mitstreitern den Ort für den Buchhandel zu retten. Und einen Ort zu schaffen, in dem der stationäre Buchhandel gerade deshalb zu neuem Leben erwacht, weil man nicht jede Ecke ausschöpft, auf jeden Trend setzt, sondern sehr großzügig, sehr durchdacht, sehr bestimmt einen Ort schuf, an dem nicht Hard-Selling betrieben wird, sondern Bücher im Mittelpunkt stehen, um zum Innehalten, Nachdenken und Miteinanderreden zu animieren. Bei einem Kaffee oder auch nicht.
„Kann man die Bücher auch kaufen?“ Die Mitarbeiterin von Random House, die kurz nach der Eröffnung zufällig vorbeigekommen und unweigerlich ins Lost Weekend hineingezogen wurde, ist sich nicht sicher. Was ist das? Ein Café? Eine Galerie? Ein Buchladen? Jahrzehntelang befand sich an selber Stelle die Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank. Fast zwei Jahre stand der Gewerberaum im Erdgeschoß der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) leer. Und jetzt ist alles anders. Zur Straße hin große Tische, die eher an das Refektorium eines Klosters denn an ein Kaffeehaus erinnern. Dann ein blitzförmig den Raum durchschneidendes Regal, das Reclams Universal-Bibliothek so ziemlich vollständig Rücken an Rücken präsentiert. Und dahinter ein Tisch und ein paar Regale, an denen eine kleine, ausgesuchte Kollektion an Sachbüchern und literarischen Titeln, viele Graphic Novels, aber auch ein halbes Dutzend Ausgaben der preisgekrönten Zeitschrift „Reportagen“ in Frontpräsentation zum Blättern, Lesen und eben auch zum Kaufen einladen.
2012 mußte Martin von Rudloff mit seiner Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank Insolvenz anmelden. Ein paar Monate lang nutzten Untermieter des Insolvenzverwalters mit dem „Bücher Cosmos“ Immobilie und Restware noch als modernes Antiquariat. Dann wurde der Raum saniert. Die Einrichtung verschwand. Mit ihr das Zwischengeschoß oberhalb der Regale sowie die großzügigen Kellerräume. Und auch die interessierten potentiellen Nachmieter – C.H. Beck, Buch & Töne, der Augsburger Christian Hammer werden hier genannt – verschwanden. Selbst etablierten Gastrobetrieben waren die erforderlichen Investitionen und der von der Universitätsverwaltung aufgerufene Mietzins zu hoch.
„Das kann ich nur zahlen, wenn ich eine Disco daraus mache“, winkte etwa der altgediente Münchner Club- und Cafébetreiber Michi Kern (Pacha, Café Reitschule) ab. Kern, der nebenbei auch noch täglich als Yoga-Lehrer unterrichtet und an der vom Jesuitenorden geführten Hochschule der Philosophie studiert, hat bereits einmal eine Immobilie spektakulär neu erfunden, als er das Zerwirkgewölbe, Münchens Jahrhunderte alte Metzgerei für Wildspezialitäten in ein veganes Restaurant namens Zerwirk mit angeschlossenen Club und Live-Bühne verwandelte. Inzwischen hat er sich aus der Immobilie zurückgezogen, so wie er oft nur als eine Art menschlicher Inkubator oder Business-Angel Projekte initiiert und realisiert. Die richtige Idee mit den richtigen Leuten umsetzen, ohne unbedingt auf Dauer eine Beteiligung zu halten.
„Der Raum ist Wahnsinn“, so Kern. Lost Weekend taufte er den Laden. Nicht etwa nach Charles R. Jacksons legendärem, von Billy Wilder verfilmten Alkoholiker-Drama „Das verlorene Wochenende“. Von dem Roman hatte Kern, der Mitarbeitern zufolge geschlossene Werke eher ungern liest, zuvor nie gehört. Ein Artikel von Willi Winkler auf Seite Drei der „Süddeutschen Zeitung“, über John Lennons „Lost Weekend“, eine Liebesaffäre Anfang der siebziger Jahre, gab die Inspiration.
Musik gibt es hier nicht zu kaufen, aber – für eine Buchhandlung eher ungewöhnlich – zu hören. Ein Sound, wie man ihn auch in Bars hören kann, Elektro, Experimentelles, Indie, gern auch im Club-Remix. Die Klientel stört es nicht, selbst Jurastudenten büffeln, ihren Schönfelder auf den angemessen großen Tischen ausgebreitet, in gemeinsamen Studiergruppen, ohne sich daran zu stören, dass hier nicht die andächtige Stille der Staatsbibliothek um die Ecke herrscht. Ganz im Gegenteil. Fragen nach dem Größenanteil von Café und Buchhandlung wehrt Kern gleich ab. Für ihn ist der ganze Raum eine Buchhandlung. Die Leseinseln, mit denen Hugendubel am Marienplatz vor langer Zeit Furore gemacht hat, werden hier einfach zeitgemäßer interpretiert. Die Menschen sollen kommen und ohne Verkaufsdruck bleiben. Ob sie nun ein Buch kaufen wollen oder nur darin blättern, am Computer arbeiten, sich unterhalten oder einen Kaffee trinken wollen. Nichts muß konsumiert oder erworben werden.
Gleich zwei W-LAN-Netze stehen zur Verfügung. Das paßwortgeschützte W-LAN der Universität für Studenten und Mitarbeiter der Hochschule. Aber auch ein weiteres, offenes W-LAN der Buchhandlung. Das Lost Weekend droht aber dennoch kein Hangout der digitalen Bohème zu werden, an dem jeder für sich allein surft und keiner miteinander redet. Mit Absicht hat man sich für große Tische entscheiden, an denen keiner allein sitzt, sondern man zwangsläufig einen Platz und hoffentlich ein Gespräch teilt. „Wir haben die Musik absichtlich etwas lauter gedreht“, so Kern, „damit die Leute auch lauter sprechen müssen und so mit ihren Nachbarn leichter in Kontakt kommen.“
Die Einrichtung aus gebürsteter Fichte wurde von Schreinern auf Maß angefertigt. Das tatzelwurmförmige Regal für um die 2895 Reclam-Bücher ist ein Entwurf des Berliner Konzeptkünstlers Björn Wallbaum, der für dieses Ladenprojekt nach München zog und gemeinsam mit Kern, Elisabeth Kieser und Markus Horn zu den Gesellschaftern der GmbH gehört, oder – in den Worten der Macher – zum „Kollektiv“. Für die ungewöhnlichen Stühle griff Wallbaum auf Entwürfe des Radikalen Enzo Mari zurück, der etwa zur selben Zeit, als das Universitätsgebäude in der Schellingstraße errichtet wurde, in Italien unter dem Titel „Autoprogettazione“ komplette Einrichtungen zum Selbstbauen für Leute entwarf, „die nicht viel Geld haben“. Wallbaum fragte ihn per Brief, ob man sein Design kopieren dürfte. Der Mailänder schickte ihnen daraufhin postwendend seine Entwürfe.
Den Kaffee und die Schmankerl gibt's – ohne Buchverkauf – auch Freitag und Samstag abends oder sonntags, die Buchhandlung dagegen ist mit Rücksicht auf das strenge bayerische Ladenschlußgesetz nur montags bis samstags von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr zugänglich.
Buchhändlerin Irene Held, keine Gesellschafterin im Kollektiv, sondern dort angestellt, nutzt die ruhige Morgenstunde, um die Barsortimentslieferungen (Umbreit) zu bearbeiten. Held, die aus dem Tutzinger Buchhändlerclan stammt und zuletzt in der Starnberger Bücherjolle gearbeitet hat, stieß zuletzt zum Team. Für Kern, der Heinrich Frank noch persönlich erlebt hat und mit Martin von Rudloff befreundet ist, stand von Anfang an fest, dass wie bereits früher an gleicher Stelle „Reclam als Basis und schneller Einstieg für Studenten“ einen Schwerpunkt des Angebots bilden müßte. Reclam-Vertreterin Friederike Rother vermittelte ihm nicht nur die gewünschte Ware, sondern brachte ihn auch mit Held zusammen, die jetzt mit drei bis vier Aushilfen den buchhändlerischen Part bestreitet und langfristig auch im Laden ausbilden will: „Ich habe die Lizenz dazu“.
Neben den tausenden von Reclam-Heftchen gab es in der Eröffnungswoche etwa zweihundert Titel anderer Verlage, die vor allem die engagierten, sozialkritischen Interessengebiete von Kern widerspiegeln: Philosophie, Nachhaltigkeit, Politik, Geschichte, ein bißchen Belletristik. „Die Buchhandlung wird wachsen und im nächsten halben Jahr an Fleisch gewonnen haben“, verspricht Wallbaum. Die offenbar von den Studenten sehr gut angenommenen dokumentarischen Graphic Novels haben bereits nach wenigen Tagen die doppelte Präsentationsfläche erhalten. Nun soll Buchhändlerin Held auch noch das literarische Profil schärfen. Englischsprachiges, wie etwa „CAFO – The Tragedy of Industrial Animal Factories“, wird dagegen die Ausnahme bleiben, um nicht Words’ Worth Booksellers nebenan Konkurrenz zu machen.
Beim Bestreben, dem Gedruckten auch noch Leben einzuhauchen, kommt Kerns Netzwerk als alteingesessener Veranstalter, Caterer und Partykönig am stärksten zur Geltung. „Lesungen macht jeder“. Stattdessen will man die guten Kontakte zum Residenztheater, den Kammerspielen und der Falckenbergschule für darstellende Kunst nutzen, um Bücher mit Schauspielern als Live-Hörspiele zu inszenieren. Man will auch nicht nur in den eigenen vier Wänden agieren, sondern mit mobilen Büchertischen in die Theaterfoyers hinein, auf Symposien, Konferenzen und im Gegenzug auch Intendanten, Professoren, Regisseure und sonstige Vordenker einladen, Buchregale zu kuratieren, sprich: ihre Lieblingsbücher, ob namentlich oder anonym, im Lost Weekend zu präsentieren.
Vom über der Buchhandlung schwebenden alten Firmennamen Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank hat Michi Kern den Eigennamen noch in der Eröffnungswoche entfernen lassen. „Wäre da Martin von Rudloff gestanden, hätte ich den Namen gelassen. Aber ich habe Heinrich Frank noch kennengelernt. Ein unangenehmer Mensch. Ich war heilfroh, als Martin damals den Laden übernommen hatte.“ Jetzt versucht Michi Kern mit seinen Mitstreitern den Ort für den Buchhandel zu retten. Und einen Ort zu schaffen, in dem der stationäre Buchhandel gerade deshalb zu neuem Leben erwacht, weil man nicht jede Ecke ausschöpft, auf jeden Trend setzt, sondern sehr großzügig, sehr durchdacht, sehr bestimmt einen Ort schuf, an dem nicht Hard-Selling betrieben wird, sondern Bücher im Mittelpunkt stehen, um zum Innehalten, Nachdenken und Miteinanderreden zu animieren. Bei einem Kaffee oder auch nicht.
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