Mittwoch, 21. Juli 2010

Die Zeitung der Zukunft – eine Art taz?

Medientagungen bieten selten Überraschendes. Die Gewerkschafterin redet der Besitzstandswahrung angestellter Journalisten das Wort, der geschäftsführende Onliner präsentiert Thesen zur Zukunft der Medien, SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz hält Wikipedia für unseriös (mit der süßen Begründung, dort würde so oft Falsches über ihn selbst drinstehen) – man gibt sich selbstreferentiell wie selbstbewußt, nur Selbstkritik ist selten.
Um so überraschender war der Vortrag Hans Georg Schnückers, Sprecher der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Rhein Main („Allgemeine Zeitung“, „Wiesbadener Kurier“, „Wormser Zeitung“ u.a.) und zugleich Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), auf einer Tagung der Akademie für politische Bildung Tutzing zu den „Umbrüchen in der Medienlandschaft“.
Schnücker, der betonte, jeden deutschen Zeitungsverleger persönlich zu kennen, weiß auch um die Schwächen seiner Kollegen (auch wenn er in seiner Rede von Journalisten spricht, hält er letztlich den Verlegern einen Spiegel vor). In seinem Statement zur „Zukunft der Zeitung – Zeitung der Zukunft“ forderte er einen Perspektivenwechsel:
„Die Berichterstattung in unseren Zeitungen ist nach wie vor überwiegend getrieben von der Offiziellen- oder Behördensicht, wie ich es nenne. Wenn über Bildungspolitik berichtet wird, dann haben wir die Sicht der Bundesregierung, der Landesregierung, der Kultusministerien, vielleicht auch noch der Schulaufsichtsbehörde. Die betroffenen Schulen, Schulleiter, Lehrer und Schüler kommen sehr häufig überhaupt nicht zu Wort.“
„Wir brauchen weniger Chronistenpflicht und mehr Agenda-Setting. Themen wie Migration, Stadtentwicklung, Energiefragen, Bevölkerungsentwicklung, Digitalisierung der Gesellschaft, Gesundheit, Umwelt, Klima etc. müssen auch in Regionalität und Lokalität aktiv bearbeitet werden.“
„Wir brauchen ein anderes Selbstverständnis der Redakteure: Wer den Menschen die Welt erklären will, muss die Welt verstehen, muss die Menschen lieben und mit sich selbst zurechtkommen.“
Wir brauchen auch andere Redakteure, führte er in freier Rede weiter aus, und kritisierte, wieso es beispielsweise in den Redaktionen so wenige Mitarbeiter mit Migrationshintergrund gäbe.
(pdf-Download des vollständigen Redemanuskriptes)

Sonntag, 18. Juli 2010

Wochenplan

Pressevorführungen „Eine Karte der Klänge von Tokio“, „Gainsbourg“, „Kiss & Kill“, „Duell der Magier“, „Inception“ und „Oskar und die Dame in rosa“,  Sounds like Munich: Independent / Black Box Gasteig, Prof. Raimer Jochims: Künstlerwege zur Gesundheit in einer kranken Gesellschaft am Beispiel von Brâncuşi und Beuys / Akademie der bildenden Künste München, P1-Sommerfest, Vernissage Hito Steyerl / Stuck-Villa, Cruise- & Pre-Collection FJ-SO 2011 / Louis Vuitton Showroom, Sondervorführung der restaurierten Fassung des Dokumentarfilms „München 1945“ / Filmmuseum, Pressekonferenz zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Bayern / Muffathalle, „Clap“-Shooting, Vernissage Jazz-Fotografien von Ssirus W. Pakzad / discovery entertainment, Eröffnung Down Under Gallery, Telekom Street Gig mit Fanta Vier / Pro Sieben Sendezentrum, Jazzfrühschoppen mit Regiermeister Klaus Wowereit / Schlösselgarten

Samstag, 17. Juli 2010

Agora (1): Jochen Wegners 23 Thesen zur Zukunft der Medien

Anläßlich der Tagung „Umbrüche in der Medienlandschaft“ in der Akademie für politische Bildung Tutzing hat Jochen Wegner gestern (update: eigentlich „unter Ausschluß der Öffentlichkeit“, so Wegner am 15. Oktober auf den Münchner Medientagen) nicht nur diesen Screenshot des zukünftigen Focus-Online-Looks präsentiert (Transformation!), sondern auch „23 Thesen zur Zukunft der Medien“ (Thesen wortwörtlich, die ihnen nachgestellten Erläuterungen in Klammern aus dem Gedächtnis nacherzählt, wobei ich sie laufend update, wenn ich mich wieder an neue Details erinnere. Auf den Medientagen München 2010 hat Jochen Wegner diesen Vortrag im Contentgipfel wiederholt. Ein Videomitschnitt davon steht online – leider ohne Deep Link, nach Contentgipfel suchen. Was mit Medien hat einige von Wegners Anmerkungen dort notiert):
  1. Journalistische Qualität ist keine Frage des Substrats. (z.B. Print, Radio, Fernsehen, Online)
  2. Journalistische Qualität ist eine Frage der Ressourcen.
  3. Die Reichweite vieler digitaler Töchter übertrifft bald die der analogen Mütter. 
  4. Die Erlöse digital:analog verhalten sich wie 1:10. (Focus Online z.B. verdient ein Zehntel von dem, was die Printredaktion erlöst. International hat Wegner bei anderen Redaktionen ähnliche Zahlenverhältnisse recherchiert.)
  5. Das Internet hat keinen Geburtsfehler.
  6. Das Kernprinzip des Internet ist Effizienz.
  7. Die freie Presse ist nicht gottgegeben. (Sie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern man muß darum, dafür kämpfen.)
  8. Journalisten müssen Unternehmer werden.
  9. Der Artikel wird zum Geschäftsmodell – und darf es keinesfalls werden. (z.B. Publishing-Sites wie ehow.com, aber auch sonst durch die Verknüpfung mit Google Ads. Das funktioniert hervorragend bei Service-Artikeln, aber wer will in Zusammenhang mit Kriegsberichten aus Afghanistan werben?)
  10. Nur originäre Inhalte haben eine Zukunft.
  11. (Bislang extreme Redundanz. Bei der Arbeit an nachrichten.de ist Wegner aufgefallen, wie hunderte deutschsprachiger Anbieter, darunter auch namhafte Redaktionen, oft identische Agenturtexte online stellen.)
  12. Die neue Ökonomie der Medien gleicht der Ökologie des Regenwalds. (Prächtig gedeihen die Baumriesen und das – teils parasitäre – Kleingewächs am Boden. Wie im Regenwald stirbt aber der Mittelbau in den Medien aus. Das Dumme ist nur, daß dort die meisten Journalisten arbeiten.)
  13. Zeit, Ort und Substrat verlieren ihre Bedeutung. (Ob man z.B. die Tagesschau um 20 Uhr live im Fernsehen, zeitversetzt am Rechner oder auf dem Handy erlebt, ob man eine Serienepisode im Fernsehen, als VoD oder auf DVD anschaut, spielt immer weniger eine Rolle. Ausnahmen sind Fernsehübertragungen mit Eventcharakter wie der „Tatort“ oder Fußballspiele.)
  14. Niemand braucht Print, Radio und TV.
  15. Neue Medien verhalten sich parasitär. (Bei den Medientagen München 2010 ergänzte Jochen diese These durch die Feststellung: „Onlinetöchter sind Parasiten der Printprodukte“. Jetzt, wo er Focus Online verläßt, dürfe er das ja sagen.)
  16. Print, Radio und TV werden noch lange leben. (Rieplsches Gesetz)
  17. Parasitismus ist kompliziert. 
  18. Es entstehen permanent neue Medien...
  19. ...mit völlig neuen Metaphern.
  20. ...und neue Formen der Monetarisierung.
  21. Ein Ökosystem digitaler Magazine entsteht...
  22. Viele Mittelsmänner werden ausgeschaltet. (z.B. Kiosk, Zeitungsausträger)
  23. Die digitalen Medien haben längst nicht zu sich gefunden...
  24. ...und werden noch sehr oft transformiert. 
Update: Carta mit Kommentaren dazu

Freitag, 16. Juli 2010

Literatur abseits von Story, Plot und Pipapo

Zuletzt stand er oft und allein im Schumann's, Münchens klassischer Bar. Wie ein Signallicht ragte Jörg Fauser aus dem Gewühl der Magazinmacher hervor, die ihn nährten und die er mit seinen Reportagen und Geschichten adelte. Bemüht wahrte er Haltung, mit hochrotem Kopf, trotz allen Alkohols immer auf der für ihn typischen Schattenlinie zwischen Beobachter und Akteur.
München – ausgerechnet die schicke Metropole der 80er Jahre war die Krönung seiner literarischen Karriere, nicht zuletzt weil es zugleich sein Ende war. Im Taunus geboren, hatte Fauser in Frankfurt am Main, Berlin und München gelebt, gearbeitet und sich als Chronist bewährt. Als Beobachter einer weit verbreiteten Lebensangst, der unermüdlichen Versuche, „einfach was Tolles“ zu bringen, und der dabei nicht zu vermeidenden Niederlagen. Die entsprechenden Verlierertypen fand er quer durch alle Gesellschaftsschichten, ob in der Koksschickeria, bei Hausbesetzern, unter den Stammgästen einer Trinkhalle oder bei den Junkies in Istanbul.
Er berichtete für „Twen“ aus der Drogenszene, interviewte für den „Playboy“ Charles Bukowski und wurde mit seiner Beobachtungsgabe, dem schnörkellosen Stil und seinem zupackenden Tempo bald ein Grenzgänger zwischen Kaufpresse und Undergroundliteratur. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm dann 1981 mit dem Roman „Der Schneemann“, infolgedessen endlich auch die früheren Arbeiten Anerkennung fanden.
„Es gibt im 'Schneemann' eine Stelle, wo eine einfache Reihung von Assoziationen stattfindet“, erläuterte Fauser einmal. „Das sind etwa 20 Zeilen. Das ist eigentlich das Buch, abgesehen von Story, Plot und Pipapo. Deswegen schreibe ich, um solche Zustände herzustellen, wo jedes Wort das vorhergehende weiterführt, aber noch drinhat. Ja, das macht Schreiben aus.“
Am 17. Juli 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, überquerte Jörg Fauser im Morgengrauen eine Autobahn und wurde dort, wo sich im Münchner Umland Rotlichtbars und Reiterhöfe drängen, überfahren.

Bearbeitete Version eines am 17. Juli 1997 in der „Berliner Morgenpost“ erschienenen Textes.

Update: „Fauser schrieb, wie er dachte, wie er konnte, schnell und direkt. Eine Literatur, die nur das sein wollte, was da stand, nichts anderes. Und er wusste, wovon er schrieb, war ganz unten gewesen, Apomorphin-Entzug, Absturz, wieder neu anfangen, weitermachen, wieder Absturz. Er kannte den Geruch der Fixerbuden, den Mief der Kommunen, das Aroma der Straße.“
Michel Decar in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25./26. Mai 2019 anläßlich der Neuauflage von Fausers Werk im Diogenes-Verlag.

Dienstag, 13. Juli 2010

R.I.P. Tuli Kupferberg

„The world’s oldest rock star“ („New York Times“)

„He had the mournful face of a rabbi, matched by a Borscht belt sense of humor that skewered all things of pretension -- money, power, generals, Nixon -- always accompanied by bawdy jokes, and an impossibly gentle manner. The perfect, and last great, flower child.“ („Village Voice“)

„Wir glaubten schlicht, den Anforderungen der Zeit an unsere Generation zu folgen, indem wir mehr Freiheit einforderten, jede Menge Spaß hatten und ein wenig am Zeitgeist schnüffelten, der hier gerade so durchblies.“
(„Süddeutsche Zeitung“)

Sonntag, 11. Juli 2010

Wochenplan

Mobile Monday: „One internet – convergence of the mobile and fixed interwebs“, Pressevorführungen „London Nights“, „Toy Story 3“, „Knight and Day“ und „I am love“, „Boulevard – jein danke!“ – Tagung mit Michael Graeter, Steven Gätjen, Georg Diez u.a. / Siemens Forum, „Umbrüche in der Medienlandschaft“ – Tagung mit Jochen Wegner, Sonia Seymour Mikich, Hans-Werner Kilz u.a. / Akademie für politische Bildung Tutzing, Jahresausstellung Akademie der Bildenden Künste München, Premiere „Der hessische Jedermann“ mit Helmut Markwort / Volkstheater Frankfurt, Kocherlball

Sonntag, 4. Juli 2010

Samstag, 3. Juli 2010

Wochenplan

Pressevorführungen „Briefe an Julia“ und „Veronika beschließt zu sterben“, Berlin Fashion Week, Sex & Chucks & Rock'n'Roll: 20 Jahre Schröder + Schömbs, Bread & Butter, Arkadendinner Kunstverein München, Pressereise „Gesichter hinter Garmisch-Partenkirchen“, Vernissage „Ultima Vista“ der Klasse Stephan Huber der Akademie der Bildenden Künste / Monte Rite

Filmfest München (3): Zoff um die „Carlos“-Premiere

Ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen: Und so vernahm ich mit Freude, daß das Filmfest München aus seiner den Affenfelsen am Gasteig umgebenen Isarmeile mit einer Sondervorstellung von „Carlos“ ins gefühlte Schwabing und das langjährige Festivalkino Arri zurückkehrt. Tut es aber gar nicht.
Die „Deutschland-Premiere“ von Olivier Assayas' nahezu 6-stündigem, aber leider enttäuschendem Dreiteiler „Carlos“ findet heute unverändert um 17 Uhr im Cinemaxx 2 statt, wie die Festivalsleitung recht schnippisch aus Ihrer Trutzburg mitteilt.
Bloß weil parallel irgend so ein Fußballspiel läuft, bewegt sich ein Filmfest doch nicht.
Die Vorstellung nach dem Deutschland-Spiel um 19 Uhr im Arri ist dagegen eine von Verleih und Produzenten organisierte „neue Deutschlandpremiere!“ Denn wie die Produktionsfirma Egoli Tossell Film heute in Anzeigen mitteilte: „Wir lieben Fußball UND Kino“. Daher war man „sehr enttäuscht, dass sich das Filmfest München außerstande sah, die Vorführung unseres Films ein wenig zu verschieben. Deutschland im Viertelfinale oder der geheime Favorit von Cannes? Warum Film- und Fußballfans vor eine unmögliche Wahl stellen?“
So lädt man denn zur alternativen Abendvorstellung bei Bier und Brotzeit mit Regisseur Olivier Assayas und den Schauspielern Edgar Ramirez, Nora von Waldstätten, Alexander Scheer und Christoph Bach ins Arri – nicht zu einem Filmfest, sondern zu einem Film- und Fußballfest. So es denn für die Deutschen heute abend überhaupt etwas zu feiern gibt...

Mittwoch, 30. Juni 2010

Filmfest München (2): Shocking Shorts Award

Davorka Tovilo – nicht ganz stilsicher mit Plastikhandschellen als Accessoire


Max von Thun

Ralle Richter (der ständig von „Jogging Shorts“ brabbelte) mit einer azuf Verena Kerth getrimmten Nina Eichinger

Thomas Darchinger

Doreen Dietl


Christine Neubauer mit „Bunte“-Redakteur Georg Seitz

(Fotos: Gert Krautbauer/NBC Universal)

Montag, 28. Juni 2010

War die Umbenennung ein Fehler?

Als ich 2006 meinen ersten eigenen Blog gründete, wußte ich zwar noch nicht so genau, worüber und wozu ich bloggen würde, aber sofort, unter welchem Namen: Tivoli-Blog, einfach weil sich am Münchner Tivoli viele Stränge meines Lebens kreuzen.
Der Name ist mir auch heute noch lieb und teuer, aber in meinem öffentlichkeitswirksamen Sammelsurium aus Dorin Popa, Tivoli-Blog, Redaktionsbüro Dolce Rita und meinem Standardavatar Nice Bastard hat sich letzteres immer mehr durchgesetzt, und wenn man über den Blog oder mich als Blogger sprach oder schrieb, hieß es immer öfter der Bastard, Nice Bastard... Daher die Namensänderung. (Die Optik sollte auch wechseln, aber mit seinen neuen Designfunktionen macht mir das Blogspot im Augenblick noch etwas schwer, ein Rebrush ist nicht mehr ohne weiteres möglich, und über einen etwaigen Relaunch muß ich noch nachdenken.)
Wie bei jeder Neuerung gibt's natürlich auch kritische Stimmen, äh, genau zwei, Hans und Mo, aber als Urdemokrat Grund genug, die Frage zur Abstimmung zu stellen. Was daraus folgt, behalte ich mir vor, auch Demokratie hat ihre Grenzen.