Donnerstag, 22. Januar 2009

Taugt ein Wahlgeheimnis zum Exit-Polls-Gate?

Wenn es für mich ein offenes Geheimnis gab, dann daß die Alphamännchen unter den Politikern an Wahltagen bereits lange vor Schließung der Wahllkokale erste Prognosen erhalten, wie auch die unter Zeitdruck arbeitende Tagespresse. Deshalb hielt ich am Sonntag noch das Vorpreschen von bild.de bei der Veröffentlichung erster Prognosen der hessischen Landtagswahl für den eigentlichen Skandal, na ja, für ein Skandälchen.
Aber dann bestritten der hessische Landeswahlleiter ebenso wie die maßgeblichen Meinungsforschungsinstitute, daß irgendwelche Prognosen vor der Fernsehpräsentation durch Jörg Schönenborn (ARD) & Co um 18 Uhr weitergegeben werden würden.
Dabei ist das Spiel an jedem Wahlsonntag das gleiche, wie mir eine weitere Quelle aus Berliner Regierungskreisen bestätigte. Die ersten Prognose der Wahlnachfrage kursieren am frühen Nachmittag und es „sind die gleichen wie bei ARD/ZDF, in den Parteien selbst verteilt es sich teils im Schneeballsystem per SMS, einige Großkopferte haben's zuerst.“
Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF), der immerhin als einer der wenigen meine Anfragen beantwortet, streitet das weiter vehement ab, räumt aber immerhin plötzlich ein, daß es durchaus den Tag über Gespräche mit Politikern gäbe und handverlesene Journalisten bereits um 17 Uhr vorab Zahlen erhielten:
Es könne nicht sein, „dass Ihnen bezüglich der Forschungsgruppe Wahlen verlässliche Information vorliegen, dass wir zu den angegebenen Zeiträumen Prognosen der Wahlnachfrage Politikern zukommen lassen.
Ich habe mich in der Vergangenheit auch schon gewundert, welche Zahlen da am Wahltag als Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen 'gehandelt' wurden. Da gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die sich damit als angebliche Insider in den Vordergrund spielen wollen.
Das kann schon allein deshalb nicht sein, weil wir selbst bei uns einen ersten Einlauf von verlässlichen Daten ab 16:30 haben und diese haben selten etwas mit dem endgültigen Ergebnis zu tun.
Selbstverständlich gibt es auch im Laufe des Wahltags das ein oder andere Gespräch auch mit Politikern bei dem eine politische Einschätzung vorgenommen wird. Ganz sicher geht es dabei (in unserem eigenen Interesse) aber lediglich um eine qualitative und nicht um eine quantitative Bewertung.
Und es gibt auch gegen 17 Uhr an weniger als eine Handvoll Journalisten, mit denen wir eine langjährige Zusammenarbeit pflegen und wo wir sicher sein können, dass eine Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet ist, eine qualitative Einschätzung des zu erwartenden Ergebnisses. Diese dienen aber nicht dazu, eine Prognose frühzeitig drucken zu können, sondern lediglich um sicherzustellen, dass der zu schreibende Kommentar etwas mit dem wirklichen Ergebnis zu tun hat.“


Updates: „An Wahlabenden gibt das ZDF vor 18.00 Uhr keinerlei Informationen, Prognosen, Umfragen oder Sonstiges heraus - wie Ihnen Frau Henrich-Dieler bereits mitgeteilt hatte. Dieselbe Auskunft hatten Sie ja auch von der Forschungsgruppe Wahlen erhalten“, schreibt mir Thomas Stange vom ZDF. Na ja, braucht das ZDF ja auch nicht, wenn – wie oben eingestanden – die exklusiv für die Mainzer tätige Forschungsgruppe Wahlen das macht. Andererseits habe ich das Gefühl, daß das ZDF auch nicht weiß, was die Forschungsgruppe mir gegenüber bereits eingeräumt hat. Auf diesen Widerspruch angesprochen, antwortet Thomas Stange schmalllippig: „Wir sprechen nur für das ZDF und nicht für Dritte“.

Und Jörg Schönenborn läßt mir durch eine Mitarbeiterin mitteilen, daß er gerne mit mir telefonieren würde.

Inzwischen hat auch die ARD reagiert. Dr. Joachim Görgen vom ARD-Referat der HA Intendanz beim SWR in Stuttgart schreibt: „Sie hatten bei der Pressestelle der ARD angefragt, ob die ARD ihre Prognose-Zahlen bei Wahlen anderen Medien vorab zur Verfügung stellt. Die Antwort ist ein klares 'Nein'. Die ARD arbeitet exklusiv mit Infratest Dimap in Berlin zusammen, so wie das ZDF mit der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim. Zusammenarbeiten heißt: Die ARD hat mit dem privaten Unternehmen Infratest Dimap einen Vertrag über eine Dienstleistung und muss entsprechend auch dafür bezahlen. Deshalb können Sie davon ausgehen, dass die ARD kein Interesse haben kann, diese Zahlen vor 18 Uhr weiterzugeben. Die Uhrzeit ergibt sich übrigens daraus, dass um 18 Uhr die Wahllokale schließen, und die Wähler nicht 'in letzter Minute' beeinflußt werden sollen durch Prognosen zum Wahlausgang.“

Jetzt gibt's in Hessen ein Aktenzeichen zum Vorgang.

Was macht die Demokratie aus? Daß wir eine mißliebige Regierung ohne Blutvergießen wieder loswerden können, so schrieb vor fast 65 Jahren Karl Popper. Und der Wahlakt, durch den sich die Willensäußerung des demokratischen Souveräns vollzieht, ist folglich ein bis ins letzte Detail reglementiertes Verfahren. Oder auch nicht. Die Wissenswerkstatt greift mein Thema auf.

Mit Schreiben vom 3. März teilt mir der Landeswahlleiter mit, daß er keine Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die BILD-Gruppe sähe.

Verdächtige Tweets bei der Europawahl und im „Spiegel“ werden Bedenken hinsichtlich herausgetwitterter Exit-Polls bei den kommenden Bundestagswahlen geäußert.

Antonia Beckermann in der „Welt“ vom 24. August über die Angst der Politnomenklatur vor herausgetwitterten Exit Polls der Bundestagswahl 2009.

Beobachtungen vom 30. August anläßlich der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland sowie der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen (Spiegel Online: „Prognosen-Verrat: Wahlergebnisse sickerten vorab auf Twitter durch“).

(Foto: WDR/Herby Sachs)

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