Samstag, 11. August 2007

Die Misere der Blogs - wie sie die SZ sieht

„In Deutschland bleiben Weblogs hinter ihrem Potential zurück“ titelt Johannes Boie im Feuilleton der „Süddeutschen“ vom Wochenende. Abgesehen von rund hundert Top-Blogs wie Spreeblick, 500beine, Viply oder BILDblog bescheinigt Boie den „rund 100000 weiteren Weblogs“, sie wären „bestenfalls öffentlich einsehbare und dennoch private geführte Tagebücher, denen jede gesellschaftliche Relevanz fehlt“.
Den US-Blogs gesteht er dagegen zu, ein „nicht zu unterschätzender Faktor der öffentlichen Meinungsbildung zu sein“ – aus dem simplen Grund, daß der öffentliche Rundfunk in den USA keine große Rolle spiele und angesichts des Präsidentschaftswahlkampfs 2004 und des Irakkriegs ein Bedürfnis nach unabhängigen Medien bestanden hätte.
Die deutschen Blogger würden sich dagegen andauernd selbst zerfleischen und versuchen, klassische Zeitungen zu imitieren. Der Ausweg: Auf Nischenthemen spezialisierte Blogs. „Aus der Gesamtheit dieser Spezial-Blogs könnte sich nicht zuletzt durch technische Verbindungsmöglichkeiten eine Gesamtheit der Blogs formen – und da wäre sie dann, die viel beschworene Gegenöffentlichkeit.“
Auch der Beitrag ist natürlich im Unterschied zu vielen anderen Artikeln dieser „SZ“-Ausgabe wieder einmal nicht online, aber falls bzw. sobald ihn sueddeutsche.de ins Netz stellt, werde ich darauf verlinken. (Tricky! Der Beitrag steht nicht auf sueddeutsche.de, sondern in deren Wurmfortsatz jetzt.de online.)
Wahrscheinlich ist es müßig, sich darüber aufzuregen, aber es ist wieder eine dieser typischen halbgaren Artikel, in denen Old-media-Autoren die Blogger zerfleischen. Unentschieden, ob sie den Blogs nun Relevanz zugestehen sollen oder nicht. (Spreeblick wird so die Relevanz fast wieder entzogen, weil man es dort interessant findet, wie ein Friseur auf die Frage nach WLAN antwortet.) Auf Amerika fixiert, als ob die Blogosphäre George W. Bush als Geburtshelfer gebraucht hätte – wie ist es denn mit Ländern wie Frankreich, in denen Blogs trotz prosperierender öffentlich-rechtlicher wie unabhängiger Medien weit verbreiteter und bedeutsamer sind als bei uns in Deutschland? Und ignorierend, daß Gegenöffentlichkeit und alternative Medien gerade nicht diese staatstragende, austarierte Relevanz einer „Tagesschau“ anstreben.

Updates: Jetzt auch auf sueddeutsche.de online.
Diskussion dazu: Thüringer Blogzentrale, Am Ende des Tages, Julie Paradise, Retroaktiv, Maingold, Stefan Niggemeier, Poplog, Robert Basic, Bamblog, Irgendwas ist ja immer.
Versuch einer Chronologie der Debatte.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

die Medienlandschaft in Frankreich ist mit der deutschen kaum vergleichbar. Bei einer Dominanz, wie Lagardère und Dassault sie in quasi allen medialen Bereichen innehaben, wäre schon längst das bundeskartellamt eingeschritten. Das ist einer der entscheidenden Faktoren für die Entstehung einer relativ breiten Off-Zeitungsbewegung, die ihre Fortsetzung in den Blogs findet. Völlig andere Baustelle.

Dorin hat gesagt…

Diese Dominanz ist aber erst in den letzten Jahren so gewachsen, und es gibt in Frankreich schon lange zuvor traditionell eine linke, eine gewerkschaftliche wie auch eine breite Off-Presse, eine durchwegs hochprofessionelle Tradition der Gegenöffentlichkeit („Charlie Hebdo“, „Le canard enchainé“, „Libé“, „Nouvel Obs“...), von der Kultur staatlicher Sender ganz zu schweigen.

Zudem war Frankreich durch das Minitel (eine Art erfolgreiches BTX) weit netzaffiner und damit auch schneller bereit für die Blogosphäre.

Der Kern meiner Aussage war aber gar nicht, daß Deutschland mit Frankreich identisch wäre, sondern daß die Entwicklung einer relevanten Blogosphäre keineswegs wie von dem „SZ“-Artikel unterstellt auf die USA und deren speziellen Situation begrenzt wäre.

Anonym hat gesagt…

Dass die Möglichgkeiten, die ein weblog bietet, hierzulande größtenteils verschenkt werden, steht ausser Frage.

Deutschen Bloggern mangelt es an Mut zum Anderssein, ein charakterlicher Defekt, der dem Deutschen überhaupt innewohnt.

Oder, um mit der Gräfin zu sprechen:

"Dieses kollektive Rumdümpeln haben die Deutschen ja gepachtet."

Nichtsdestotrotz, ein Blog ist eine großartige Möglichkeit, sich ohne jeglichen Filter zu präsentieren.

Wer will, der kann.

(Der erwähnte Artikel ist trotzdem scheisse.)