Die Optiker haben die Fielmann-Revolution durchaus noch gut überstanden. Es gibt sie noch, die Stammadressen, bei denen man sich in guten Händen wähnt und deren Schaufenster, zumindest in der Schelling- und Leopoldstraße, über das neueste Brillenangebot hinaus auch Akzente in Pop und Politik setzen. Die Fachärzte für Augenheilkunde dagegen?
Einer meiner ersten Augenärzte, dem ich während der 70er und 80er Jahre die Treue hielt, war nicht nur ein begnadeter Arzt, sondern eine im ganzen Viertel bekannte Persönlichkeit, ein Charakterkopf, mit dem selbst ich als Teenager und junger Mann wunderbare Gespräche führen konnte. Und sei es nur über seine Leidenschaft als begeisterter Cembalo-Spieler. Eines Tages stand auf dem Rezeptblock in der Praxis nicht mehr sein Name, sondern der einer anderen Praxis. Offenbar durfte er selbst keine Verordnungen mehr ausstellen. Dann verschwand er völlig von der Bildfläche.
Die Fachärzte für Augenheilkunde wandelten sich in anonyme Filialbetriebe, die nur ein Ziel zu haben scheinen: Augenlasern. Ein Geschäftsmodell, das an das Hard Selling der Shops von Mobilfunkanbietern erinnert. Nur dass die Verkaufskanonen weiße Kittel tragen und einen akademischen Grad besitzen.
Eine Entwicklung, davon geprägt, dass Investoren, also Private-Equity-Gesellschaften, sprich: Heuschrecken, zunehmend nach Arztpraxen greifen. Der NDR sah bereits vor einem Jahr in mehreren deutschen Städten und Landkreisen monopolartige Strukturen entstehen. Die Mehrheit der ambulanten Augenärztinnen und -ärzte würde dort in einer der investorengeführten Ketten arbeiten.
Selbst einer meiner ältesten Kumpel aus dem Münchner Nachtleben, ein für solche Ketten arbeitender Augenarzt, will mit mir als am Lasern desinteressierten Patienten nichts mehr zu tun haben. Oder höchstens inoffiziell. Wenn wir uns zufällig auf der Straße treffen, darf ich ihn gern um Rat bitten. Oder auch anrufen, wenn ich zu einer Diagnose eine zweite Meinung wünsche. Ihn nur nicht in der Praxis behelligen. Die er wechselt wie ein Hasardeur seine Einsätze.
Statt neben der Hausärztin auch eine verläßliche Augenärztin über die Jahre zu haben, war ich nun auf den Ärzteführer der Techniker-Krankenkasse (TK) angewiesen, um irgendwo einen Sprechstundentermin abzugreifen, wenn es mal wieder nötig war.
Und die nette Praxis vom letzten Mal, 2020, existierte natürlich auch nicht mehr, als ich diesen Monat erneut vorstellig werden wollte. Also erneut TK-Ärzteführer. Eine der bundesweit zahlreichen, von der Smile-Eyes-Gruppe des Finanzinvestors Trilantic betriebenen oder lizenzierten Filialen lag bei mir um die Ecke, ein Termin war recht zeitnah gefunden. In den digitalen Patientenunterlagen dieser für mich neuen Schwabinger Filiale war ich offenbar bereits angelegt, ein Besuch von mir in der Smile-Eyes-Filiale am Candidplatz vor einiger Zeit vermerkt. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war ich dort aber nicht für eine Augenuntersuchung, sondern in Corona-Zeiten für einen PCR-Test gewesen.
Lasern ist in der Augenheilkunde seit Jahren das große Geschäft. Eine Katarakt-Operation auch nicht zu verachten. Aber selbst die kleinen, anderen über die GÖA abzurechnenden Zusatzleistungen kleckern sich zusammen. Die von der Kasse nicht abgedeckte Augendruckmessung wurde mir wieder einmal angeboten. Sie war mir aber bereits hinlänglich bekannt und ich habe schnell abgelehnt. Der Lufthauch war mir zu kostspielig. Die Optische Cohärenztomographie war mir dagegen neu und einen Versuch wert, da sich meine Sehkraft heuer doch so rapide wie heftig verschlechtert hatte. Angst macht neugierig. Dafür zahle ich dann gern auch mal 93 Euro aus eigener Tasche. Von da an wurde es interessant.
Vor der Behandlung die vorgeschriebene schriftliche Honorarvereinbarung. „Bitte bezahlen Sie erst nach Erhalt einer Rechnung unter der Angabe der Rechnungsnummer“, war darauf ausdrücklich vermerkt.
Nach der Behandlung dann die erste Überraschung. Die Medizinischen Fachangestellten bestanden darauf, dass ich gleich, vor Ort die 93 Euro zu begleichen hätte. Bar oder per Kartenzahlung. Es wäre eine ausdrückliche „Anweisung der Verwaltung“.
Da ich weder genug Bares dabei hatte, noch eine Kartenzahlung vornehmen konnte, kam postwendend die zweite Überraschung: Die MFA behielten meine Gesundheitskarte von der Techniker-Krankenkasse als Pfand ein. Ich würde sie zurückerhalten, sobald ich die 93 Euro in der Praxis bezahlt hätte. Erst nach erfolgter Zahlung erhielt ich dann überhaupt eine Rechnung.
Dritte Überraschung: Da sich meine Sehstärke von - 6,75 um rund drei Dioptrien auf - 9,5 bis - 9,75 verschlechtert zu haben schien, wollte ich eine Brillenverordnung. Eine MFA erklärte mir daraufhin, dass das keine Kassenleistung sei und ich den Betrag von über 30 Euro dafür aus eigener Tasche zahlen müsste. Die zweite anwesende MFA sah das anders. Sie kenne es aus ihrer früheren Tätigkeit bei einem anderen Arzt als Kassenleistung. Also Rückruf bei der Praxisleitung. Und Smile Eyes beharrte dann darauf, dass es die Brillenverordnung nur gegen Cash oder Kartenzahlung gäbe.
Natürlich bat ich später Smile Eyes schriftlich um eine Stellungnahme. Eine Sprecherin bestätigte mir telefonisch, dass in den ersten beiden Fällen die MFA leider einen Fehler begangen hätte. Auch wenn es viele andere Ärzte so handhaben würden, bestünde Smile Eyes nicht auf sofortige Bezahlung. (Wobei die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, UPD, der Ansicht ist, dass man mir erst die Rechnung hätte aushändigen müssen, bevor man die sofortige Zahlung forderte: „Wenn ohne Vorlage einer solchen Rechnung unmittelbar eine Zahlung verlangt wird, ist dies rechtswidrig.“)
Und die Sprecherin von Smile Eyes versicherte mir auch, dass man meine Versichertenkarte selbstverständlich nicht hätte einbehalten dürfen. Offen blieb vorläufig die Frage, ob die Brillenverordnung eine Kassenleistung oder gesondert nach der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte abzurechnen und von mir selbst zu bezahlen sei. Das hänge von der medizinischen Indikation ab. Hinsichtlich der Brillenverordnung scheint es kompliziert zu sein. Nach Rücksprache mit allen für Abrechnungen bei Smile Eyes Zuständigen ergab sich für die Sprecherin kein eindeutiges Bild, da widersprüchliche Meinungen existieren. Es sieht aber wohl so aus, dass die reine Ausstellung einer Brillenverordnung wohl eine Kassenleistung sei, eine darüber hinaus gehende Beratung, etwa ob Kunststoffgläser, privatärztlich abzurechen wäre.
Der Missbrauch meiner Gesundheitskarte als Pfand verwundert auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB): „Das Einbehalten der elektronischen Versichertenkarte, findet – soweit bekannt – nirgendwo eine Rechtsgrundlage und ist daher als unzulässig anzusehen. Dies ist nicht nur eine vertragsärztliche, sondern ggf. auch eine berufsrechtliche Verfehlung. Letztere ist über den jeweils zuständigen Ärztlichen Bezirksverband zu klären.“
Hinsichtlich der Brillenverordnung haben sich die Zeiten laut KVB tatsächlich geändert (oder täuscht mich nur meine Erinnerung?): „Die Brillenverordnung ist bei volljährigen Patienten grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Ausnahmen regelt § 33 Abs. 2 SGB V. Liegt ein kurativer Fall vor, hat der Patient Anspruch auf eine Diagnose und eine ärztliche Behandlung. Dazu gehört auch die Feststellung der Sehschärfe und die Aushändigung der festgestellten Werte, um damit bsp. zu einem Optiker zu gehen. Das ist Teil der ambulanten Behandlung.“
Die UPD sieht das differenzierter: „Für eine Kassenleistung ist eine ärztliche Verordnung erforderlich. Der Inhalt der Verordnungen ist in § 7 bzw. §§ 12ff Hilfsmittel-Richtlinie geregelt. Die Verordnung für Sehhilfen hat auf einem dafür vereinbarten Vordruck zu erfolgen (§ 12 Absatz 2 HM-RL).
Die Ausstellung der Verordnung ist eine Kassenleistung – das gilt für alle Kassen. Solche dürfen Vertragsärzte nicht privat in Rechnung stellen. In dem Fall verstoßen sie gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten (§ 18 Bundesmantelvertrag-Ärzte).
Schwieriger ist es bei Attesten für Brillen, die keine Kassenleistung sind. In dem Fall verlangen manche Ärztinnen und Ärzte Geld für das Ausstellen des Brillenrezepts. Aber dies ist eigentlich nicht nötig, weil Betroffenen im Rahmen ihres Rechts auf Einsicht in die Patientenakte die Untersuchungsergebnisse mitgeteilt und ausgehändigt werden müssen. Wir haben das Thema in unserem Homepage-Text Sehhilfen und Kostenübernahme/Fragen und Antworten ausführlich dargestellt.“