In einer Ära der Fortsetzungskatastrophen à la „Porky's“ muß daran erinnert werden, daß Hollywoods Buhlerei um den jugendlichen Kinogänger einst auch Meisterwerke wie „Steelyard Blues“, „Clockwork Orange“ oder „Performance“ hervorgebracht hat. Don Simpson, an allen drei letztgenannten Filmen beteiligt, produzierte nunmehr für den Jugendmarkt „Flashdance“, den Sommerhit der Film- und Musikcharts.
„Flashdance“ bezeichnet die tänzerische Umsetzung von Alltagsszenen, mit der Alex, tagsüber Schweißer, am Abend auf der Bühne brilliert. Straßenszenen, etwa ein Polizist, der den Verkehr dirigiert, oder Jugendliche, die im Park mit Tanzschritten wetteifern, fallen Alex ins Auge und werden Bestandteile, Vorlage ihrer Show. Ihrer, denn Alex ist eine Frau. „Flashdance“ einer der seltenen Frauenfilme, wo die männliche Hauptrolle fast gänzlich auf ein porschefahrendes Beiwerk reduziert ist.
Im heruntergekommenen Industriegebiet von Pittsburgh schuftet die junge Alex Owens am Bau und im Nachtclub, um sich den Traum von einer Ausbildung zur Balletttänzerin zu verwirklichen. Schweiß und Ehrgeiz, doch auch Selbstzweifel und Anlehnungsbedürfnis prägen das Porträt dieser Frau, die sich privat und beruflich durchzusetzen weiß. Die groß angelegte Frauenrolle, Mittelpunkt beider Handlungsstränge, der Liebes- und der Erfolgsgeschichte, wurde um der Perfektion willen in der Besetzung wieder gesplittet, die Hauptdarstellerin Jennifer Beals in den Tanzszenen gedoubelt. Eine Professionalität, um die man auch in anderen Bereichen bemüht war: Kamera, Licht, Ausstattung und Choreographie ergänzen sich und schaffen eine perfekt durchgestylte Szenerie.
Mit diesen Rohstoffen cineastischen Könnens in den Händen inszenierte der ehemalige Werbefilmer Adrian Lyne unverdrossen das Ganze mit dem Kurzstreckenatem eines Video-Clips oder TV-Spots. Den Anforderungen eines Spielfilms, ein komplexes Handlungsgerüst zu errichten oder gar Musik- und Spielszenen in einen Guß zu bringen, scheint er nicht gewachsen. Ratlos sieht man als Zuschauer die Story hin und her springen, verärgert beobachtet man die unklaren Charakterskizzierungen, etwa wenn die Heldin zuerst als gläubige Unberührte erscheint, um dann auf einmal selbstbewußt ihren Chef zu vernaschen, damit die Handlung weitergehen kann. Beichten oder ein Todesfall werden – nur kurz angedeutet – als Stimulation bemüht, ohne näher begründet oder ausgeführt zu sein, die Möglichkeiten einer klassischen Entwicklungsgeschichte einfach verschenkt.
Entsprechend verfährt der Regisseur auch mit den zahlreichen Tanz- und Musikszenen. Einige der zahlreichen Hits, die nicht mal alle auf den Soundtrack paßten, werden nicht ganz ausgespielt, so wie es das Publikum von flüchtigen Videosendungen à la „Formel Eins“ gewohnt ist. Die atemberaubenden Tanzszenen sind oberflächlich abgefilmt, lassen den Zuschauer nur erahnen und erhaschen, aber nicht daran teilnehmen, wie etwa in „All that Jazz“ oder „Carmen“.
Die ganze Rolle der Alex Owens, die Tanznummern und Hits, „Flashdance“ insgesamt bleiben nur aufreizend und anregend. In einem erstaunlichen Ausmaß schafft es Lyne, eine nackte Schulter, Hits und Tanz zu arrangieren, optische und akustische Reize zu drapieren, ohne Befriedigung zu schaffen. Die geschürte Spannung, wenn Jennifer Beals ihren Rock hochschiebt oder Irene Cara ihr Lied trällert, bleibt im Raum, der junge Zuschauer kann sich, wird sich diesen Thrill immer wieder holen, im Kino, ais dem Walkman, in der Disco. Und niemand macht sich schmutzig, außer der Frau an der Kasse, die die Geldscheine zählt.
Diese Filmkritik erschien im „Plärrer“, Ausgabe 9/1983.